Die Aufrichtigen (German Edition)
persönlich zu bereichern und Zugang zur Macht zu erhalten. Ist es das, was du sagen willst, mein lieber Donatus?« Dr. Albertz wirkte entrüstet.
»Es wurde das Heiligste verraten, vergiss das nicht! Männer kamen an die Macht, die Jesus verleugnet haben.«
Pater Donatus schüttelte angewidert den Kopf und erhob drohend die Faust
»Es ist an der Zeit«, fuhr er erregt fort, »den Stuhl Petri wieder einem geweihten Mann zu übergeben.«
»Die katholische Kirche hat ihre Geschichte sicher nicht aufgearbeitet oder für ihre Verbrechen die Verantwortung übernommen. Aber du kennst die neue Euphorie in der Gesellschaft. Der Glaube hat wieder Konjunktur. Der Papst wird niemals seine Taufe wiederholen. Ihr Donatisten werdet als Spinner abgetan und allenfalls ein paar Fanatiker werden sich für die Idee begeistern.«
»Ich habe solche Widerworte erwartet«, sagte Pater Donatus überraschend ruhig. »Aber das ist nicht nur ein historisches Problem. Geschichte wird etwas erst, wenn es aufgearbeitet worden ist, wenn man es katalogisiert hat und irgendwo abheften kann. Ich habe das Beispiel der Synode von Arles ist nicht zufällig gewählt. Es war nur der erste große Sündenfall der Kirche. »
»Du redest wie Ernst!«, unterbrach Dr. Albertz unwillig.
Pater Donatus ließ sich nicht beirren. »Es gibt zahllose andere Beispiele für solche Verfehlungen um der Macht Willen. Lass mich herausgreifen, was ich den zweiten großen Sündenfall nenne.«
»Nämlich?«
»Das Reichskonkordat mit Hitler aus dem Jahr 1933!«, sagte Pater Donatus beinahe feierlich.
Dr. Albertz blickte auf. Er nahm sich vor, den Pater nicht zu unterschätzen.
Feria quarta, 12 Uhr 05; der Auftritt
Es machte Leo wirklich nichts aus, auf Dr. Albertz zu warten. Sicher war ihm, wie schon so oft, eine wichtige Sache dazwischen gekommen, die keinen Aufschub duldete. Leo versäumte ohnehin meistens die Mittagspause, weil er sich verzettelte und außerdem nicht gern alleine aß. Mit Google News konnte man sich herrlich die Zeit vertreiben. Er durfte den Chef auf keinen Fall verpassen, musste ihm den Umschlag geben, den er seit gestern wie einen Stein mit sich herumtrug.
Schon am Morgen hatte er das Büro geräumt und schlecht gelaunt seinen Platz in der Bibliothek wieder eingenommen. Der kurze Tag als Chefvertreter hatte eine längst verschüttete Sehnsucht aufgeweckt. Leo Blum träumte davon, etwas Großes in seinem Leben zu vollbringen, auch wenn er nie darüber sprach. Die Scheu, von den anderen daran gemessen zu werden, war viel zu groß. Sein Selbstbewusstsein erschien ihm manchmal wie ein zartes Pflänzchen, das lauer Luft und behutsamer Pflege bedurfte. Er hatte seine Träume abgestellt wie ein sperriges Musikinstrument, das seither beleidigt in der Ecke lehnt und zu spotten scheint, sooft man es ansieht.
Wahrscheinlich wäre Leo in Selbstmitleid zerflossen, hätten ihn nicht Stimmen im Kanzleifoyer aus seinen Gedanken gerissen. Die Empfangsdame wies eine Person zurecht, die darauf bestand, mit Dr. Albertz zu sprechen.
»Ich werde hier warten«, sagte eine Frau mit fester Stimme. »Mein Vater hat mit gesagt, dass Dr. Albertz mich über alles aufklären kann. Er ist heute Nacht gestorben.«
Wie ein Schlag überkam Leo die Erinnerung. Sollte sich die Ahnung des alten Mannes schon so bald erfüllt haben? Ohne weiter darüber nachzudenken, riss er die Tür auf. Die beiden Frauen drehten sich zu ihm um.
»Sind Sie Frau Spohr?«, fragte er.
Die Frau war so überrascht, dass sie nicht gleich antwortete. Sie war ziemlich groß, wohl auch wegen der hochhackigen Pumps, die sie trug. In ihrem schwarzen, knielanges Etuikleid mit weißem Saum und der übertrieben großen Panzerkette sah sie aus wie Audrey Hepburn in ›Frühstück bei Tiffany‹.
»Ich bin Julia Spohr. Sind Sie Dr. Albertz?«
Noch im Sprechen bemerkte sie, wie unsinnig diese Frage war. Die Empfangsdame gluckste und Leo warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Ich bin Rechtsanwalt Leo Blum und vertrete Herrn Dr. Albertz während seiner Abwesenheit.«
»Er ist also wirklich weg!«
»Kommen Sie, vielleicht kann ich Ihnen helfen.«
Nach kurzem Zögern folgte sie Leo in die Bibliothek.
»Hier arbeiten Sie?«, fragte sie abschätzig.
Leo nickte nur und versuchte sich daran zu halten, was Dr. Albertz ihm immer eingeschärft hatte. Doch er ahnte, dass er die Führung des Gesprächs mit dieser seltsamen Person nicht würde übernehmen können. Sie strahlte eine ruhige Überlegenheit aus,
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