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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Bergh
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seinem reservierten Sitzplatz in der 1. Klasse breitete er Reisetasche und Mantel aus, damit niemand auf die Idee käme, sich neben ihn zu setzen. Wenn Dr. Albertz etwas nicht ausstehen konnte, so waren das geschwätzige Zufallsbekanntschaften. Öffentliche Verkehrsmittel waren schon schlimm genug. Dann zog er das alte Buch aus der Tasche, das er am Morgen in einem gut sortierten Antiquariat gefunden hatte. ›Historie des Römischen Huren-Regiments der Theodora und Marozia‹ von einem gewissen V. E. Löscher. Das frühe 10. Jahrhundert, das Zeitalter der Pornokratie, musste herrlich gewesen sein! Doch so sehr er sich darauf gefreut hatte, in dem seltenen Band zu blättern, er konnte sich nicht darauf konzentrieren.
    Seine Gedanken kreisten um die Gespräche des gestrigen Tages und den Abend in der Krypta. Sicherlich, junge Männer begeistern sich schnell, aber glaubten sie wirklich, was Pater Donatus ihnen sagte? Oder war es nicht vielmehr nur diese schwüle Zuneigung, die sie offenbar für ihn empfanden? In solch einer Jugendgruppe schienen die Grenzen schnell zu verfließen. Von wegen, Geheimnis des Glaubens! Welch ein Unsinn anzunehmen, die Kirche sei dazu berufen, das Wort Gottes zu verkünden. Als ob Gott dazu nicht selbst in der Lage wäre, als ob er Paragrafen, Zauberspiele oder Hierarchien bräuchte, um auf der Welt zu wirken! Warum gab es immer noch Menschen, nein, warum gab es immer mehr Menschen, denen dieser Hokuspokus gefiel? Was spielte es für eine Rolle, ob es Gott gab oder nicht, was machte es für einen Unterschied, ob der Papst geweiht oder ungeweiht war? Der Papst das letzte Glied einer Kette unwirksam getaufter Christen! Welch ein Jammer, wo doch das Sakrament der Taufe unverzichtbare Voraussetzung für den Eintritt in die Kirche und die Teilhabe am ewigen Heil ist. All die armen Seelen, die sich auf ihre Taufe verlassen hatten und nun in der Hölle braten mussten, ohne zu wissen, wie ihnen geschah! Die Wiedertaufe des Papstes zu verlangen, war mehr als dreist! Dr. Albertz legte das Buch in den Schoß und rieb sich die Hände.
    Die Geschichte wiederholte sich immer wieder. Wie konnte es das Papsttum überhaupt so weit bringen? Es war doch hinreichend bekannt, dass die Stelle bei Matthäus, die Petrus zum Nachfolger Christi stilisiert, zum Fels, auf den er seine Kirche baut, noch im dritten Jahrhundert überhaupt nicht bekannt gewesen war. Kein Kirchenvater dachte an den Primat des Bischofs von Rom, keiner sah in Petrus den Nachfolger Christi. Diese Passage tauchte erst im Jahr 254 auf, als der machtversessene Stephan I. mit dem heiligen Cyprian in einen Hierarchienstreit geriet. ›Bei uns gibt es keinen Bischof der Bischöfe‹, schrieb Cyprian, ›da zwingt keiner seine Amtsbrüder mit tyrannischer Gewalttätigkeit zum Gehorsam.‹ Es folgten Jahrhunderte mit Päpsten und Gegenpäpsten, politischen Spielchen um die Vorherrschaft in Europa, ständige Kämpfe mit den Kaisern und Fürsten um Macht, Ansehen und Reichtum. Doch noch immer gab es Leute, die im Papsttum und dem ganzen Katholizismus mehr sehen wollten, als Intrigen. Von Gott keine Spur! Der Glaube war das Gängelband für die Untertanen. Was für eine absurde Idee, Gott würde ausgerechnet die Kirche als Sprachrohr benutzen! Einem Allmächtigen wäre doch etwas Originelleres eingefallen. Dr. Albertz interessierte sich für die Kirche, ihre Organisation, ihre Geschichte und Methoden, weil er Religion und Macht für wesensverwandt hielt. Religion war die Trägersubstanz der Macht. Immer wenn es keine stichhaltigen Gründe gab, half sie den Mächtigen aus der Patsche. Hatte Gott wirklich nichts Wichtigeres zu tun, als mittelmäßigen Führern die Steigbügel zu halten? War denen denn noch immer nichts Besseres eingefallen?
    Zu Dr. Albertz‘ Überraschung kam die junge Frau vom Bahnsteig in den Waggon. Sie mühte sich, ihren Rollkoffer in die Gepäckablage zu hieven. Ohne zu zögern sprang er auf, um ihr zu helfen. Dabei kam er ihr näher, als nötig gewesen wäre. Er sah sie an, sog ihren Duft ein, bis sie errötete.
    »Verzeihen Sie, dass ich Ihnen helfe«, sagte er und griff nach der Tasche.
    »Warum, um alles in der Welt, gelingt es der Bahn nicht, Gepäckablagen zu bauen, die auch praktisch sind.«
    Als die Tasche verstaut war, trat er einen Schritt zurück und stellte sich vor. Es war diese selbstherrliche Art, seinen Namen zusammen mit dem Titel auszusprechen und nach einer winzigen Pause das Wort ›Rechtsanwalt‹ daran zu

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