Die Aufrichtigen (German Edition)
was machst du, ich meine…«
Leo fand wieder einmal nicht die passenden Worte. Das ging ihm bei ihr immer so.
»Schön dich zu hören. Ich habe an dich gedacht. Du bist sicher verheiratet, hast ein paar Kinder, deine eigene Kanzlei —«
»Hör auf, Sophie. Ich wollte dich immer anrufen, ehrlich. Na ja, du weißt schon, nicht jetzt, sondern schon längst, verstehst du. Ich wußte nicht, dass du in der Sache ermittelst.«
»Ich ermittle ja gar nicht! Die lassen mich noch lange nicht ran!«
»Irgendwann schaffst du das, ganz bestimmt! Schau mich an. Ich habe endlich einen echten eigenen Fall. Ich vertrete Julia Spohr und brauche Informationen.«
»Ach, und da erinnerst du dich zufällig an die gute alte Sophie. Du hast das wirklich alles ernst gemeint damals, nicht wahr?«
Leo seufzte nur.
»Ich fand es schön mit dir.«
Leo wurde heiß. ›Ich auch‹, wollte er sagen, doch es kam ihm nicht über die Lippen.
»Was ist das überhaupt für eine komische Telefonnummer?«, fragte er stattdessen.
»Tja, ich habe jetzt ein Diensthandy. Seit zwei Wochen. Cool, nicht wahr?«
»Können wir uns unterhalten?«
»Das klingt nach einem romantischen Date, sagen wir in 20 Minuten in unserem Café. Ich habe noch nichts gegessen.«
Sie legte auf.
Vor etwa sechs Monaten war Leo zum gerichtsmedizinischen Institut der Universität gefahren, mit dem Vorsatz, etwas Außergewöhnliches zu erleben. Zusammen mit einem Pulk Studenten drängte er sich in den halbrunden Hörsaal. Unten lag etwas unter einer grünen OP-Decke auf dem Seziertisch. Der Pathologe kam herein, gefolgt von zwei Assistenten und einem hageren Mann, der als Staatsanwalt vorgestellt wurde. Hinter einer Glasscheibe stand ein uniformierter Polizist, der von einem Pappteller Currywurst aß.
Die Assistenten zogen die Decke weg. Auf dem Tisch lag ein nackter toter Mann.
»Nun«, sagte der Gerichtsmediziner, »die Behörden wollen wissen, woran der Mann gestorben ist, sehen wir mal, ob wir den Herrschaften helfen können.«
Er kicherte im Falsett. Dann schnippte er mit den Fingern und die Assistenten legten sofort alle möglichen Gerätschaften bereit. Es dauerte eine Weile, bis sich alle davon überzeugt hatten, dass es keine äußeren Verletzungen an der Leiche gab und auch keine noch so winzigen Einstiche von Injektionsnadeln, wie der Staatsanwalt auf eine Bemerkung des Pathologen hin ins Protokoll schrieb. Der Gerichtsmediziner nahm ein langes Skalpell und schnitt mit drei schnellen Schnitten die Gesichtshaut des Toten am Kinn und an den Wangen ein.
»Sie werden staunen«, kicherte er, »wie wenig das Gesicht am Kopf haftet.«
Damit zog er mit beiden Händen die Haut nach hinten über den Schädel.
»War doch gar nicht so schlimm, oder?«
Leo drehte sich weg. Neben ihm saß eine blonde, schlanke Frau, die konzentriert nach unten starrte. Es war Sophie. Sie lächelte als sie ihn bemerkte. Leo lächelte zurück und schaute schnell wieder zu dem Toten. Jetzt war es leichter, die Leiche zu betrachten, weil sie kein Gesicht mehr hatte. Der Tote war ein Fall geworden. Einer der Assistenten öffnete die Schädeldecke mit der Knochensäge. Es stank bestialisch. Der Pathologe bat darum, sich den charakteristischen Geruch einzuprägen. Noch ehe Leo wirklich fassen konnte, was da unten geschah, hatte der andere Assistent das Gehirn herausgeholt und auf eine Glasplatte gelegt. Der Pathologe betrachtete es, hob es hoch, damit alle es sehen konnten, und schnitt es in dünne Scheiben, wobei er sagte, dass dies die denkbar schlechteste Methode sei, den menschlichen Geist zu erforschen. Dann plötzlich, als sei er es leid geworden, hielt er inne, trennte ein Stückchen der Gehirnmasse heraus und schubste es in eine Petrischale.
»Für‘s Labor, nur für alle Fälle.«
Mit einem einzigen glatten Schnitt, oben am Hals angesetzt, durchtrennte er ohne sichtbare Anstrengung die Brust bis zum Schambein. Die Assistenten klappten den Brustkorb auf und entnahmen nach und nach die Organe, die alle auf gläserne Platten gelegt und von dem Pathologen sorgsam in dünne Scheiben geschnitten wurden. Das Herz, die Nieren, die Milz, die Leber, der Magen der Darm. Von jedem Organ gab der Gerichtsmediziner ein kleines Stück in eine Petrischale. Der Polizist hinter der Glaswand hatte inzwischen die Currywurst aufgegessen und legte den mit Ketchup und Currypulver beschmierten Pappteller direkt vor der Glasscheibe auf einen Tisch. Leo unterdrückte die Übelkeit.
Nur mit der Lunge ging
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