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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Bergh
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daneben. Der Dom war geschlossen.
    »Wir müssen da rein!«, sagte sie so bestimmt, dass Leo keinen Gedanken an Widerspruch verschwendete.
    »Komm mit Leo, hier ist es zu gefährlich.«
    Sophie lief die schmale Gasse zurück auf den Marktplatz, um sich zu orientieren. Irgendwo musste es noch einen weiteren Eingang geben. Doch auf dieser Seite war der Dom viel zu dicht mit Gebäuden umgeben. Beim eingerüsteten Ostchor, wo Leo die Bautafel entdeckt hatte, bogen sie in eine Gasse, die auf die andere Seite der Kirche führte. Nach etwa hundert Metern entdeckten sie eine Mauernische, in deren Schatten sich eine Tür verbarg. Ein kleines Messingschild wies den Weg zum Dommuseum. Vage konnte man durch die Gitterstäbe den Kreuzgang erspähen.
    »Hier sind wir genau richtig«, flüsterte Sophie triumphierend und zog etwas aus ihrer Jackentasche.
    »Was willst du hier, Sophie, die Tür ist bestimmt auch abgeschlossen«, sagte Leo.
    Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihm aus.
    »Ich bin ein Bulle, schon vergessen? Natürlich ist die Tür abgeschlossen.«
    Sie machte sich mit einem runden Ding am Schloss zu schaffen. Im nächsten Augenblick sprang die Gittertür auf und Sophie ging hinein. Leo pfiff anerkennend durch die Zähne und folgte ihr. Durch die Säulen des Kreuzgangs schimmerte das fahle Mondlicht. In einer Nische stand eine Statue, die ihren Kopf in beiden Händen hielt. Zielsicher wandte Sophie sich nach rechts und stand bald vor einem Glasportal, das in den Dom führte. Diesmal dauerte es etwas länger, bis Sophie die Tür geöffnet hatte. Sie ging hinein, ohne sich nach Leo umzudrehen. Etwas ließ ihn zögern, eine Mischung aus Angst und Ehrfurcht. Nach einem tiefen Atemzug lief er Sophie hinterher.
    Im Dom war es beinahe völlig dunkel. Das Licht der Scheinwerfer, die draußen die Fassade beleuchteten, drang nur schwach ins Innere. Eine Notbeleuchtung gab es nicht, die Seitenaltäre lagen in gänzlicher Finsternis. Hinter jeder Ecke, hinter jeder Säule hätte eine heimtückische Spukgestalt hervorschnellen und Leo zu Tode erschrecken können. Ein toter Ritter, ein Bischof oder Fürst, der die Bodenplatte seines Grabes öffnete, um zu sehen, wer so dreist war, darauf herumzutrampeln. Vielleicht auch eine der geschundenen Figuren aus den Seitenschiffen, Märtyrer auf der Suche nach ihren Gliedern, die als Reliquien in alle Welt verschachert worden waren, religiöse Eiferer, darauf bedacht, ihr grauenvolles Geheimnis zu bewahren. Oder gar Gott selbst, der es sich nicht länger gefallen lassen wollte, wie wenig sich Leo um ihn kümmerte. Hier war er seinem Zorn praktisch schutzlos ausgeliefert. Sicherheitshalber versuchte er, nichts Schlimmes zu denken. Denn wenn es, allem zum Trotz, Gott wirklich gab, so wäre jetzt der perfekte Zeitpunkt, sich zu erkennen zu geben.
    Sophie war inzwischen bis zu der Treppe gegangen, die zur Krypta hinabführte. Sie zischte ungeduldig, wo Leo denn bleibe. Das riss ihn aus seinen Gedanken. Nach ein paar Schritten sah er im schwachen roten Licht einer Opferkerze den fliegenden Jesus am Stamm des Kreuzes. Er fuhr zusammen, obwohl er natürlich wusste, dass es nur eine Skulptur war. Der Glaube seiner Kindertage war verloren gegangen, die unbestimmte Scheu war geblieben. Er begriff plötzlich, dass es ganz unmöglich war, ohne Gott zu leben, besonders dann, wenn man nicht an ihn glaubte. Julia hatte Recht, die Religion prägte auch die Vernünftigen, weil sie bestimmt, wie und woran wir uns erinnern. Warum nur lieferte sich der Mensch dem aus? Wenn das Christentum wirklich die Religion der Liebe war, warum baute es dann solche Schreckensburgen als Gotteshäuser und füllte sie mit Toten? Das war die Sprache der Einschüchterung, nicht die der Güte.
    »Was treibst du da?«, fragte Sophie ärgerlich.
    Sie packte Leo von hinten. Erschrocken schrie er auf. Danach war es totenstill in der Kirche.
    »Was ist denn los mit dir?« Sophie lachte.
    Etwa zehn Meter entfernt flackerten vor einer Marienstatue ein paar Opferkerzen. Leo stockte der Atem. Er legte seine Hand auf Sophies Mund. Von der Statue löste sich ein Schatten, nahm Gestalt an und verschwand wieder in der Dunkelheit des Seitenaltars. War das die Spur, die sie zu finden hofften?
    »Wer ist da?«, rief sie.
    Sie waren die Guten in dem Spiel. Das beruhigte Leo ein wenig.
    »Polizei! Zeigen Sie sich!«
    Der Schatten trat aus der Finsternis. Eine starke Taschenlampe leuchtete auf. Ganz kurz war die Gestalt eines untersetzten Mannes

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