Die Aufrichtigen (German Edition)
zu sehen, dann wurden Leo und Sophie vom Lichtkegel der Lampe geblendet.
»Was um Himmels Willen tun Sie hier?«, sagte der Mann unfreundlich. »Das ist ein Gotteshaus! Ihr von der Polizei solltet euch lieber um die Jugendlichen kümmern, die hier herein kommen und randalieren.«
Der Domaufseher fuchtelte mit der Taschenlampe herum. Irgendwie war Leo über diese Wendung erleichtert, Sophie jedoch ging auf den Mann zu und riss ihm die Taschenlampe aus der Hand.
»Wir ermitteln in einem Mordfall«, sagte sie giftig, »der am vergangenen Montag hier seinen Anfang genommen haben könnte.«
»Dann hat er ihm doch etwas angetan!«
Der Domaufseher stöhnte auf. Sophies Miene hellte sich auf.
»Am Besten Sie sagen gleich, was Sie wissen. Was haben Sie mit der Sache zu tun?«
Leo konnte sich nicht erinnern, Sophie jemals so grimmig erlebt zu haben.
»Ich bin nur der Domaufseher und habe mich vergewissert, dass bei den Opferkerzen alles in Ordnung ist.«
Auf dem Schild auf seinem Revers stand sein Name.
»Was meinen Sie damit, wer hat wem etwas angetan?«
»Nichts, ich meine gar nichts!«
Seine Stimme zitterte so, dass man ihn kaum verstehen konnte.
»Sie leugnen?«, herrschte Sophie ihn an.
»Ich hätte doch nie gedacht, dass er ihm etwas antun würde!«, stammelte der Mann, »Das müssen Sie mir glauben!«
Sophie packte ihn an der Schulter und schob ihn zu den Kirchenbänken im Mittelschiff. Dort drückte sie ihn nieder und stellte die Taschenlampe neben ihm auf. Sie stützte sich auf die Lehne der vorderen Bank. Der Lichtkegel beleuchtete ihr Gesicht von unten.
»Also, reden Sie schon, was geht hier vor?«
Weil der Domaufseher nicht antwortete, holte sie ein Foto des Professors aus der Tasche und hielt es ihm unter die Nase.
»Kennen Sie diesen Mann?«
»Nein, ich meine, nicht wirklich. Aber er war am Montag da, ich habe ihn hinunter geführt.«
»Das ist Professor Ernst Spohr. Er ist am Mittwoch morgen tot in seinem Haus aufgefunden worden. Vermutlich ist er Dienstag Nacht zwischen elf und zwei ermordet worden. Also sagen Sie schon, was Sie wissen!«
Der Domaufseher erzählte hastig, was er am Montag beobachtet hatte und beeilte sich zu beteuern, den jungen Mann nicht zu kennen, der den Professor verfolgt hatte.
»Ich weiß nur, dass er Maiorinus genannt wird. Diese jungen Leute sprechen sich alle mit diesen komischen Namen an, die so klingen wie alte Heilige. Es ist besser, keine Fragen zu stellen und den Mund zu halten. Daran halte ich mich, seit der hochwürdige Herr Prälat mich eingeweiht hat.«
»Eingeweiht?«, mischte Leo sich ein, »in was denn eingeweiht?«
Der Domaufseher musterte Leo von oben bis unten. Sophie stieß ihn gegen den Oberarm.
»Na los, beantworten Sie die Frage,« einen Augenblick lang stockte sie, »von meinem Kollegen.«
»Unter der Nassauer Kapelle«, flüsterte der Mann endlich, »ist eine geheime Krypta. Dort finden im Verborgenen Zusammenkünfte statt.«
Der Sarkophag war von Kerzen umringt, die den steinernen Leichnam unwirklich zittern ließen, als sie die Kapelle betraten. Der Aufseher öffnete das Gitter in der Wand und stieg hinab. Er warnte vor dem Wasser am Boden und empfahl, sich möglichst nah an der Mauer zu halten. Für Leo kam die Warnung zu spät. Er trat bis zu den Knöcheln in eine Pfütze. Das Wasser floss eiskalt in seinen Schuh. Er grinste nur in Sophies Richtung, die sein Missgeschick gar nicht bemerkt hatte.
In der geheimen Krypta knipste der Aufseher das Licht an. Sie musterten den Altar, die hölzernen Sitzbänke und Tische, auf denen sauber aufgereiht die Becher und Teller aus Ton standen. Leo raunte Sophie zu, solch einen Becher im Haus des Professors gefunden zu haben.
»Nicht jetzt«, zischte Sophie mit einem Blick auf den Domaufseher. »Erzählen Sie mir von den geheimen Zusammenkünften«, sagte sie laut.
Der hochwürdige Herr Prälat, Pater Donatus, sagte der Domaufseher, habe ihn für die Sache der Donatisten gewonnen. Die katholische Kirche sei viel zu nachlässig in allem, besonders aber im Umgang mit den Jugendlichen. Toleranz und Verständnis seien bei einem solchen Gesindel völlig fehl am Platz. Er habe sofort begriffen, dass bei den Donatisten eine ganz andere Moral herrsche. Die unglaubliche Disziplin habe ihm beim hochwürdigen Herrn Prälaten besonders imponiert, weshalb er ihm diese geheime Krypta gezeigt habe, die er während der Renovierungsarbeiten im Dom entdeckt hatte. Seither hielten die Donatisten hier ihre
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