Die Aufrichtigen (German Edition)
sie für nützlich.«
Der Professor nickte.
»Ich finde es bemerkenswert, dass er die Zusammenhänge auf diese Weise knüpft. Zumeist wird Kaiser Konstantin doch als Heldenfigur dargestellt. Wir neigen dazu, die Taten großer Männer für Geschichte anzusehen. Wenn die Tat nur groß genug, der Mann nur berühmt genug erscheint, so enthalten wir uns einer ethischen Beurteilung. Vielmehr erstarren wir in Ehrfurcht, als ob der Zweck die Mittel heiligen würde.«
»Tut er das nicht?«, provozierte Dr. Albertz.
»Ich finde es richtig, das Zugeständnis der Christen auf der Synode von Arles in den Kontext der Anerkennung des Christentums durch Kaiser Konstantin zu stellen. Du weißt ja, Macht korrumpiert — »
»Absolute Macht korrumpiert absolut. Leider weiß ich noch immer nichts über Lord Acton.«
Dr. Albertz verzog das Gesicht, als sei dies ein unverzeihliches Versäumnis.
»Ich glaube auch nicht«, fuhr der Professor fort, »dass er bei seiner Schilderung der Rolle der Kirche bei der Machtergreifung der Faschisten und Nationalsozialisten übertreibt.«
»War das denn wirklich so schlimm, wie er sagt?«, fragte Dr. Albertz.
Der Professor antwortete nicht gleich, sondern starrte ins Leere. »Es war noch viel schlimmer«, sagte er dann.
»Wie meinst du das?«
»Er hat die Zusammenhänge ohne Übertreibung dargestellt. Aber man muss vielleicht etwas weiter ausholen, um das zu verstehen.«
»Bitte«, forderte Dr. Albertz ihn auf.
»Ich sehe eine gewisse Logik, einen inneren Zusammenhang zwischen der monotheistischen Religion des Christentums und der Entgleisung der menschlichen Zivilisation in der Mitte des 20. Jahrhunderts.«
»Aha, wieder Grundsatzreden.«
»Keine Angst, Max, mit dir über Grundsätzliches zu reden, ist reine Zeitverschwendung. Aber wenn du ihn verstehen willst, dann musst du diesen Zusammenhang begreifen. Man kann nicht die Augen verschließen, nur weil man etwas Unbequemes sieht oder weil die Menschen sich darauf geeinigt haben, bestimmte Dinge nicht zu erwähnen. Die Leute dürfen das schon machen, der Wissenschaftler aber hat die Pflicht, alle erdenklichen Umstände zu erwägen.«
»Also gut. Du erzählst mir deine Version der Geschichte und ich schweige.«
Es lag beinahe etwas Mildes in seinem Lächeln.
»Der christliche Monotheismus hat ein Bewusstsein der Überlegenheit erzeugt, die Überzeugung, diese Überlegenheit anderen als Offenbarung bringen zu müssen und dafür jedes Mittel einsetzen zu dürfen, gleich worin es besteht. Du wirst zurecht sagen, dass das nichts Neues ist, dass dies jede Kultur auszeichnet, die eine religiöse Basis hat. Es ist kein Spezifikum des Christentums, das gebe ich zu. Lass es mich daher anders erklären: Das Religiöse ist darauf angelegt, sich selbst als absolut anzusehen. Solange das die Privatangelegenheit der Leute ist, ergeben sich daraus kaum Probleme, denen nicht mit den Mitteln der modernen Psychiatrie oder des Strafrechts beizukommen wäre. Die Sache ändert sich erst dann, wenn man der Religion das Schwert in die Hand gibt, sie zur Staatsdoktrin erhebt und ihr hoheitliche Macht verleiht.«
»Schon klar«, warf Dr. Albertz ein, »ein Verbrechen wird dadurch zum Verbrechen, dass es Einzelne begehen. Wird es von vielen verübt, nennt man es Terror. Begehen es aber alle oder besser gesagt ein Staat, der sich über eine Mehrheit in der Bevölkerung legitimiert, dann nennt man das ganze Gerechtigkeit.«
»Das Christentum ist, genauso wie der Islam oder das Judentum eine Staatsreligion. Unsere Verfassung bestimmt zwar etwas anderes, aber das ist nichts als eine schamhafte Farce. Es kommt ja nicht darauf an, was in den Gesetzbüchern steht, sondern darauf, was die Menschen leben. Nimm ihn als Beispiel. Stünde die Sache anders, käme er mit seinen Forderungen durch, so sähe man ihn nicht mehr als Brandstifter oder religiös motivierten Terroristen, man gäbe ihm Macht und Mittel in die Hand, mit dem katholischen Gesindel aufzuräumen. Die Wiedertaufe des Papstes wäre dann kein Affront mehr, sondern der heldenhafte Gründungsakt einer neuen Kultur.«
»Aber wo ist der Unterschied? Er ist doch keinen Deut besser als die, die er bekämpft«, unterbrach ihn Dr. Albertz, der noch nicht wußte, worauf der Professor hinaus wollte.
»Siehst du«, nickte der, »das ist genau das, worauf es ankommt. Man würde den einen Absolutismus durch den nächsten ersetzen, nichts weiter. Der Gemäßigte wird durch den Radikalen ersetzt, der Radikale durch
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