Die Aufrichtigen (German Edition)
Ostern nicht so hässlich aussieht. Warten Sie, hier haben sie fünfzig Euro. Können Sie gleich anfangen?«
Uhlig kratzte sich hinterm Ohr und betrachtete den Geldschein. Dann schüttelte er den Kopf. Er brauche Spezialwerkzeug, sagte er, nächste Woche könne er vielleicht anfangen. Julia gab ihm noch einen fünfzig Euro Schein und lächelte erwartungsvoll.
»Wenn Sie meinen«, sagte der Friedhofsarbeiter, dessen Miene sich aufhellte. »Ich will an nichts Schuld sein. Wenn ich sie aber vorsichtig in den Schraubstock spanne und mich dagegen stemme – aber auf ihre Verantwortung.«
Julia nickte. Uhlig zog aus seiner Latzhose einen Schraubenschlüssel, löste die Schrauben und entfernte sich mit der verbogenen Platte unter dem Arm.
Schnell trat Julia vor die Öffnung, die in der Urnenwand klaffte. Eine schlichte, schön geformte Urne aus Granit war im Halbdunkel der Öffnung zu erkennen. Sie hatte keine Ahnung, was der Friedhofsarbeiter am vergangenen Dienstag gesehen hatte, aber es konnte nur eine Erklärung dafür geben: Ihr Vater musste etwas in das Grab gelegt haben, was dieser Pater suchte. Ob er es gefunden hatte?
Julia tastete den Schacht sorgfältig ab. Doch es befand sich nichts als die Urne darin. Enttäuscht blies sie die Luft aus. Sie war sich so sicher gewesen.
»Oh mein Gott«, seufzte sie, »er hat es in die Urne getan!«
Sie sah über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass niemand sie beobachtete. Dann zog sie die Urne heraus, erschrocken über sich selbst. Sollte sie etwa die Hand in die Asche ihrer Schwester stecken? War es nicht möglich, dass sie sich irrte? Sie rüttelte an dem Deckel, er bewegte sich nicht. Was sollte sie jetzt tun? Sie stellte die Urne aufs Kies und kniete sich davor. Der Friedhofsarbeiter konnte jeden Augenblick zurück sein. Was sollte sie ihm sagen, wenn er sie so fand? Sie umfasste die Urne mit beiden Händen, dachte daran, sie mit zu nehmen, um sie in aller Ruhe zu untersuchen. Doch dann spürte sie, dass der Deckel locker saß, nur ganz leicht, kaum zu bemerken. Mit einem Ruck drehte sie daran und tatsächlich: So ließ er sich öffnen.
Julia wagte kaum, hinein zu sehen. Es war sowieso nichts zu erkennen, sagte sie sich, weil zu wenig Licht in die Urne fiel. Was konnte es sein, das ihr Vater hier versteckt hatte? Sie würde danach tasten müssen, in der Asche ihrer Schwester! Sie musste es irgendwie fertig bringen. Vergebens kämpfte sie gegen diese Stimme in ihr an, die ihr sagte, dass ganz und gar ausgeschlossen sei, was sie da für sich überlegte. Aber es war nicht zu ändern. Sie legte den Deckel neben die Urne ins Kies und streckte schon die Finger aus. Da entfuhr ihr ein Freudenschrei, die pure Erleichterung! Im Deckel klebte ein Schlüssel. Hastig löste sie das schwarze Textilband. ›Mainz HBF‹ war in den Schlüssel gestanzt. War es ein Frevel, was sie getan hatte? Sie verschloss die Urne und stellte sie in den Schacht zurück. Nein, ihre Schwester war längst woanders.
Cunctos Populos
Unsere Geschichte ist die Geschichte der Kirche. So wie sich noch heute jeder Bürgermeister beim Fototermin neben den Dorfpfarrer stellt, oder die Staatsführer sich gerne vor dem Papst kniend abbilden lassen, so stand immer ein mächtiger Bischof, ein Kirchenlehrer hinter den römischen Kaisern, als die römisch-christliche Welt mit der Welt der Barbaren verschmolz und unsere Geschichte ihren Anfang nahm. Da die Kaiser jener Zeit nur selten lange lebten, berieten die einflussreichen Bischöfe oft schon ihre Väter, erzogen ihre Kinder, führten die Staatsgeschäfte der halbwüchsigen Caesaren und sagten ihnen, wen sie als Häretiker verbrennen, wen als Rechtgläubigen begünstigen sollten.
Eusebius von Nikomedia war der Vertraute Kaiser Konstantins und der Erzieher seiner Söhne. Er zog die Fäden im Hintergrund der Konstantinischen Säuberung im Jahr 337. Kirchenlehrer Athanasius, Bischof von Alexandrien, trieb zum Kampf gegen die Arianer und wurde fünf Mal von seinem Bischofsstuhl vertrieben und wieder eingesetzt. Ihm verdanken wir die Auswahl der 27 kanonischen Bücher des Neuen Testaments. Der Heilige Ambrosius, Bischof von Mailand, der neben Rom wichtigsten Stadt des Westens, überlebte alle Nachfolger der Konstantinsöhne, bis er in Kaiser Theodosius endlich einen Herrscher fand, der in seinem Edikt Cunctos Populos im Jahr 380 mit dem Katholizismus die Lehre der römischen Kirche zur Staatsreligion erhob und alle anderen Kulte verbot und unter Strafe
Weitere Kostenlose Bücher