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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Bergh
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sich stets die radikalere Weltanschauung durchsetzt, dann ist auch das Papsttum auf diese Weise entstanden. Der Bischof von Rom hat sich gegenüber allen anderen christlichen Kirchen durchgesetzt.«
    »Deine Evolution des Religiösen leuchtet mir auf der einen Seite ein«, sagte Dr. Albertz, »aber findest du nicht, dass das alles sehr nach durchdachten kriminellen Machenschaften klingt. Versteh‘ mich nicht falsch, aber ich glaube nicht an die Weltverschwörung. Sicher, es gab und gibt immer wieder Verschwörer oder kaltblütige Verbrecher. Aber die Kirche hat keine einheitliche Struktur wie eine Mafiafamilie, an deren Spitze der infame Kopf der Bande sitzt, der kühl die nächsten Schachzüge plant. So etwas könnte man nie über so viele Jahre, über so viele Epochen aufrecht erhalten.«
    »So ist es auch nicht«, bestätigte der Professor, »es ist unendlich viel schwieriger und verworrener. Ich bin erst ganz am Anfang des Verstehens, und mein Leben währt nicht mehr lange genug, als dass ich den nächsten Schritt noch wagen könnte. Das müssen andere erledigen. Ich bin allenfalls die Vorhut. Weißt du, Max, das Ganze bedingt sich gegenseitig. Auf der einen Seite unterliegt das Religiöse einem ständigen Wettbewerb. Seit die Menschen sich aber nur noch einen Gott erlauben, ist alles viel schwieriger geworden. Früher konnte man einfach einen größeren, mächtigeren, schöneren oder einfach nur neuen Gott aus dem Hut zaubern, um in diesem Wettbewerb eine neue Trumpfkarte zu haben. Seit es aber nur noch einen Gott gibt, muss man sich etwas weitaus Originelleres einfallen lassen. Die Details einer Weltanschauung sind wichtiger geworden. Da es letztlich um denselben Gott geht, dreht sich plötzlich alles um den besseren Gottesdienst, die besseren Deutungen, die originaleren Offenbarungen. Der Monotheismus ist ohne theologischen Streit gar nicht vorstellbar. Das ist der Kern des Problems!«
    »Wie meinst du das? Pfaffen streiten nun einmal, ich weiß, aber das ist doch kein grundsätzliches Problem.«
    »Der Glaube nützt den Mächtigen, mit Religion kann man ein Volk ruhig stellen und das eigene Gewissen beruhigen. Der Religiöse aber befindet sich in einem Dilemma. Was glaubst du, weshalb die Christen in Karthago Anfang des vierten Jahrhunderts Kaiser Konstantin angerufen haben, damit er den Streit um die Bischofsweihe von Caecilianus entscheidet und was glaubst du, weshalb Kaiser Konstantin der römischen Kirche den Vorzug gegeben hat?«
    »Nun, das ist einfach«, erwiderte Dr. Albertz, »die Christen brauchten den Kaiser als Richter, weil es ja um ein und denselben Gott ging. Weil alles nur auf einem unsinnigen Theologenstreit beruhte, konnte es keinen sinnvollen Ausgleich aus eigenen Reihen geben. Der Kaiser hat nur der Seite den Vorzug gegeben, die seinen Zielen am nützlichsten war.«
    »Du bringst es auf den Punkt, Max«, sagte der Professor. »Die römische Kirche verabschiedete sich auf der Synode von Arles vom Gewaltverbot und machte den Dienst in der römischen Armee zur Christenpflicht. Die Donatisten waren dazu nicht bereit. Sie konnten den Streit um die Weihe also gar nicht gewinnen. Im Gegenteil, der Kaiser war interessiert, die Kritiker des Paktes schnell mundtot zu machen. Die römische Kirche hatte dasselbe Interesse. Das würde man heute als Deal bezeichnen, nicht wahr?«
    »Du meinst also«, sagte Dr. Albertz, »da das Religiöse um jeden Preis selbst zur herrschenden Lehre werden will, deswegen muss der Religiöse mit den Mächtigen buhlen, um von ihnen Mittel zu bekommen, mit denen er sich gegenüber den anderen Lehren durchsetzen kann?«
    »Weil nach der monotheistischen Lehre alles erlaubt ist, was dem Glauben dient, weil der Zweck jedes Mittel heiligt«, führte der Professor den Satz zu Ende.
    »Wow, das ist stark!«
    Der Professor schwieg.
    »Der Mächtige gebraucht den Glauben für seine Interessen«, sagte Dr. Albertz in die Stille, »und der Gläubige wartet nur darauf, sich anbiedern zu dürfen, um durch das Wohlwollen des Mächtigen der eigenen Anschauung das nötige Gewicht zu verleihen. Da braucht man noch nicht einmal eine böse Gesinnung oder hintertriebene Pläne, um eine explosive Mischung zu bekommen. Wenn dann aber auch noch machtversessene Zyniker am Werk sind oder skrupellose Gewaltmenschen —«
    »Dann Gnade uns allen Gott«, sagte der Professor, »dann ist der Glaube nicht mehr zu retten!«

Gründonnerstag, 02 Uhr 14; das Geschäft
    Dr. Albertz spürte so etwas wie

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