Die Aufrichtigen (German Edition)
Arsch hingehalten, um das zu werden, was ich bin, und ich habe es freiwillig getan. Ich habe es getan und ich stehe dazu. Ich weiß wer ich bin! Ich bin nicht der strahlende Sieger, der gefragte Rechtsanwalt! Ich bin nichts als der ungewollte Bastard eines Kriegsverbrechers!«
»Sprich nicht so über deinen Vater!«, mahnte der Professor. »Er hat dir die beste Ausbildung angedeihen lassen, die man sich vorstellen kann. Es hat dir an nichts gefehlt!«
»Was weißt du schon«, seufzte Dr. Albertz. »Aber lassen wir das. Es geht hier nicht um mich. Wir alle profitieren in der einen oder anderen Weise davon, dass die Vergangenheit im Dunkeln bleibt. So wie es der Kirche gelang, nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches völlig ungestraft eine führende Rolle zu übernehmen, so waren dieselben Leute die Macher des Wirtschaftswunders, die auch schon im Naziregime erfolgreich waren. Denk‘ an meinen Vater!«
»Lass ihn aus dem Spiel, Max. Er hat damit gar nichts zu tun!«, protestierte der Professor.
»Er hat damit sehr wohl etwas zu tun! Er hat während des Krieges sein Vermögen in Jugoslawien verdient. Freilich, so komfortabel wie Ante Pavelic, der zusammen mit der Elite seines Schlächterstaates bei den Franziskanern in Salzburg unterkam, hatte er es nicht. Ihn haben sie in einem Schweinetransporter vor den Häschern Titos versteckt und außer Landes geschafft. Die hätten ihn wahrscheinlich auf offener Straße aufgeknüpft. So aber kam er mit dem Segen der Kirche nach Deutschland zurück, wie durch ein Wunder erfolgreich entnazifiziert und von allen Gräueln reingewaschen. Sicher, man brauchte tüchtige Leute für den Wiederaufbau. Erstaunlich nur, dass die großen Kriegsgewinnler, die sich schon am Vermögen der eroberten Völker, der vergasten Juden oder den Kolonnen der Zwangsarbeiter bereichert haben, auch die Gewinner des Wirtschaftswunders waren. Erstaunlich auch, dass sie fast ausnahmslos gute Katholiken waren und erstaunlich, dass die Kirche beim Wiederaufbau genauso ihre blutigen Finger im Spiel hatte, wie schon zur Zeit der Diktatur. Die Herrschaften bleiben immer unter sich. Ach ja, ich vergaß die Ausnahme: Sie blieben natürlich nicht unter sich, wenn sie, wie mein sauberer Herr Vater, in die Vorzimmer schlichen, den Mädchen den Kopf verdrehten, rehäugige Stenotypistinnen schwängerten und kleine Bastarde, wie mich, in die Welt setzten!«
»Beruhige dich, Max, was ist bloß los mit dir?«
Der Professor streckte seine Hand aus und legte sie auf die Hand Dr. Albertz‘. Der zuckte zusammen.
»Verstehst du denn nicht? Mich geht das ganz besonders an«, begann Dr. Albertz noch einmal, »denn wäre er zur Rechenschaft gezogen worden – ich wäre gar nicht geboren! Alles wäre anders, hättet ihr nicht geschwiegen!«
»Max, armer Max«, sagte der Professor leise.
»Entschuldige, ich habe mich in Rage geredet«, antwortete Dr. Albertz nach einer Weile. »Komm, mir ist es hier zu stickig. Lass uns nach draußen gehen.«
»Es muss schwer für dich gewesen sein, so aufzuwachsen«, sagte der Professor.
»Lass das«, herrschte Dr. Albertz ihn an. »Ich komme mit meinem kalten Herzen bestens zurecht. Aber siehst du denn nicht, dass der große Bogen, den du spannst, dass der Zusammenhang, den er herausstellt, siehst du denn nicht, dass dies mehr ist, als eine historische oder theologische Hypothese. Es geht hier um die Wirklichkeit, nicht um irgend einen längst verstorbenen Kaiser!«
»Es wird die Zeit kommen, da die Leute über all diese Dinge ebenso gut Bescheid wissen, wie wir heute über die Spätantike«, sagte der Professor.
»Aber dann ist es zu spät! Die Leute müssen jetzt aufstehen und endlich mit diesem Unsinn aufhören. Es ist nicht genug, in der Vergangenheit zu leben, man muss die Gegenwart beobachten, sie aus dem Wissen der Vergangenheit beurteilen, um es in Zukunft besser zu machen.«
»Du entwickelst dich zum Moralisten, Max«, sagte der Professor ohne jede Ironie.
»Rede keinen Unsinn! Ich habe meinen Platz im Leben, weiß Gott, gefunden! Man darf nicht nur in der Vergangenheit leben!«
»Was soll das heißen?«, fragte der Professor.
»Du klagst die Kirche längst vergangener Verbrechen an«, antwortete Dr. Albertz. »Die Kirche gedeiht aber, ebenso wie die Nachkriegsgesellschaft auf dem Nährboden des kollektiven Verschweigens. Das Schönreden hilft ihr. Es ist, wie wenn man einem ausgebufften Gauner auf der Spur ist, den man nicht erwischen kann und sich brüstet, eine Spur
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