Die Aufrichtigen (German Edition)
wäre?«
»Nein, ich verstehe es nicht«, sagte Dr. Albertz hart. »Ich verstehe es ganz und gar nicht! Ihr Historiker stehlt euch um die brisanten Themen herum, ihr wühlt in der Vergangenheit und zieht nutzlose Rückschlüsse daraus, die ihr in der Gegenwart nicht anzuwenden bereit seit. Wem dient es, dass wir vom Sündenfall der Kirche wissen, der im vierten Jahrhundert stattgefunden hat, wenn ein Papst um ein wenig politische Macht die Menschheit an die größten Schlächter der Geschichte ausliefern darf, ohne dass man ihm dafür ins Gesicht speit? Die Rolle der Kirche im Dritten Reich war nicht unproblematisch, hört man die Mutigeren hinter vorgehaltener Hand sagen. Ihr braucht so fragwürdige Gestalten wie mich, um euch den Spiegel der Feigheit vorzuhalten. Worin besteht denn der Unterschied zwischen dem Kniefall vor Kaiser Konstantin und dem vor Hitler? Du sagst ja gar nichts, Herr Professor! Dann will ich es dir sagen: der Unterschied besteht darin, dass Konstantin seine Kriege gewonnen hat und Hitler nicht. Deswegen verehrt man Konstantin als Helden und Heiligen, während man in Hitler die Inkarnation des Bösen sieht. Oh nein, ich hege keinen Zweifel daran, dass Hitler böse war, aber auch er konnte nur ernten, was auf dem fruchtbaren Boden gedieh, den er vorfand.«
Dr. Albertz war vor Zorn rot angelaufen. Der Professor starrte ihn entsetzt an.
»Was schiltst du mich dafür, Max, ich bin der Letzte, der dir widerspricht«, sagte er aufgebracht.
»Oh vielen Dank, mein Lieber, zuviel der Ehre, du widersprichst mir nicht!«, rief Dr. Albertz. »Aber du hast nichts, aber auch gar nichts zur Aufklärung dieser Dinge beigetragen, obwohl du der größte Kirchenkritiker unserer Zeit bist, obwohl du selbst dieser Zeit entstammst.«
»Statt dessen grabe ich in der Vergangenheit, ich weiß«, sagte der Professor leise und senkte sein Haupt.
»Du selbst beklagst es, und zwar zu Recht, dass sich niemand findet, der dies auszusprechen wagt«, fuhr Dr. Albertz etwas ruhiger fort. »Er ist dir da weit voraus, auch wenn seine Motive nicht ehrenvoll sein mögen.«
»Hör auf!«, sagte der Professor.
»Pius XI. hat allen Nazis zur Macht verholfen, nicht nur Hitler, vergiss das nicht. Dieser Mann war nicht allein«, sprach Dr. Albertz ungeniert fort. »Wo war der Papst, als man Polen überfiel, wo war der Papst, als man die Juden deportierte? Pius XII., sein Nachfolger, oh ja, das war ein ehrenwerter Mann, er brachte die geheime Enzyklika heraus, mit brennender Sorge! Mit brennender Sorge, weil Hitler sich einen Dreck um das Reichskonkordat scherte und die kirchlichen Privilegien in Gefahr waren.«
»Bist du endlich fertig?«
»Versteh‘ mich nicht falsch, Ernst, ich weiß, dass du kein Nazi gewesen bist und nie mit ihnen sympathisiert hast. Das Problem liegt wo anders. Leute wie du, Leute die keinen verdorbenen Charakter hatten, die sich nichts zu Schulden kommen ließen, solche Leute hätten aufstehen und uns Jüngeren sagen müssen, was wirklich geschah.«
»Hör endlich auf!«, forderte der Professor noch einmal.
»Du bist ein großer Historiker, das weißt du und es ist richtig von dir, die Heuchelei der Kirche zu entlarven. Ich leugne nicht, dass dazu auch die Antike aufgearbeitet werden muss. Ich mache dir daraus keinen Vorwurf. Doch das ist nicht genug! Wenn du die Zusammenhänge schon erkannt hast, wenn du schon Belege kennst für diesen zweiten großen Sündenfall, wie er es genannt hat, warum schweigst du dann?«
»Auch hier war mein Leben also vergeudet. Ich weiß es wohl. Wir haben geschwiegen. Die einen, weil sie schuldig waren, die anderen, weil sie gebraucht wurden, die nächsten, weil sie mutlos waren. Doch vergiss nicht: so sehr unsere Welt anders aussähe, wenn wir nicht geschwiegen, wenn wir uns nicht darin gefallen hätten, uns als bloße Opfer des bösen Verführers zu betrachten, so sehr ist auch dies bereits Vergangenheit. Es obliegt denen nach uns, darüber zu urteilen.«
»Stiehl dich nicht davon!«, rief Dr. Albertz, »Ich bin der Letzte, der dich deshalb verurteilt, denn ich mache die besten Geschäfte mit der Kirche, sie hat mich reich gemacht. Dafür schäme ich mich nicht, denn ich habe dafür bezahlt und in den letzten Jahrzehnten alles preisgegeben, was man unschuldig, selbstlos oder menschlich nennen könnte. Es gibt nur eines, worauf ich stolz bin: Ich habe immer gewusst, was ich tat und habe mich dabei nie großartig, edel oder gut gefühlt. Ich habe so vielen Leuten meinen
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