Die Aufsteigerin
bewunderte und möglichst bald einen Platz in seinem Unternehmen finden wollte. Jack Mahoney hatte den amerikanischen Traum auf den Kopf gestellt. Schon allein deswegen blickte Eamonn zu ihm auf. Insgeheim stellte er jedoch auch fest, dass er froh war, wieder das tun zu dürfen, was er am besten konnte. Und was ihm am meisten Spaß machte!
Er spürte den Adrenalinstoß. Endlich war er wieder das, was er am liebsten war: Herr seiner selbst, Herr über andere. Im Herzen hatte er die ganze Zeit gewusst, dass er sich etwas vormachte. Für dieses Leben war er geboren, und dazu hatte man ihn aufgezogen. Wieso also noch länger dagegen ankämpfen?
Als er das Büro verließ, sah er Petey, der auf ihn wartete. Er war leichenblass, und als er Eamonn die Nachricht übermittelte, empfand er großes Mitleid für ihn. Die Mahoneys wussten nur zu gut, welches Gewicht ein Patriarch haben konnte. Ihr eigener Vater war weitaus schlimmer gewesen als Eamonn Senior, und doch hatten sie sich immer um ihn gekümmert.
Familie, Blut, Verwandtschaft. Sie sind es, worum sich die Welt dreht, und sie sind der Grund, warum Menschen danach streben, sich zu bessern.
Unterm Strich bleibt die Familie das Einzige, was man hat.
Eamonn Senior lag aufgebahrt im Leichenschauhaus. In Ruhe sah sein grobes Gesicht viel älter aus.
Sein Sohn betrachtete den Mann, den er geliebt hatte und auch gehasst, und spürte tiefe Trauer. Er vergaß die vielen Male, die sie sich gestritten hatten, vergaß die Zeiten als Kind, in denen er nichts zu essen hatte, weil der Mann da auf der Bahre das Geld brauchte, um zu trinken. Vergaß die Prügel, die er hatte einstecken müssen, wenn sein betrunkener Vater wieder einmal jähzornig wurde.
Er sah den Mann, der seinen Sohn in ein fremdes Land begleitet hatte, weil er wusste, in welchen Schwierigkeiten der
Junge steckte. Er bedachte, dass sein Vater versucht hatte, zumindest dieses eine Mal, seinen Sohn zu beschützen.
Mit den Tränen kämpfend versuchte er, sich an seine Mutter zu erinnern. Sie war eine kleine Frau gewesen, die gern gelächelt und ihren großen Ehemann und den gemeinsamen Sohn über alles geliebt hatte. Sie war in jungen Jahren schnell, aber qualvoll an Krebs gestorben. Ihr Gesicht, ehemals so schön, war gezeichnet gewesen von den grausamen Schmerzen, die der Tumor in ihrer Brust verursachte.
Er konnte sich noch an den Geruch im Sterbezimmer erinnern, an den bitteren Geruch des Todes. Bis zu diesem Tag hatte er das alles verdrängt. Der Schmerz war unerträglich gewesen.
Jetzt sah er das Blassgelb der Tagesdecke, sah das Weiß der Laken und sah seine Mutter, so bleich und so dünn, und er hörte sie in ihrem irischen Tonfall leise mahnen, dass er ein guter Junge sein möge und dem folgen, was sein Vater sagte.
Er war zu jung gewesen, um zu verstehen, dass sie sich von ihm verabschiedete.
Das Krankenhauspersonal war sehr nett zu ihm gewesen. Die Schwestern hatten ihm Tee und Toast gebracht, und er konnte sich erinnern, dass sein Vater weinte. Diese Tränen hatten ihm Angst gemacht. Eamonn konnte sich nicht erinnern, dass sein Vater vor diesem Tag getrunken hatte.
Als er den Toten betrachtete, wusste Eamonn, dass sein Vater vor derselben Erinnerung davongelaufen war, sein Leben lang, und dass er wohl versucht haben musste, sie mit Whiskey zu vertreiben.
Er hatte sein Bestes getan für seinen Sohn und ihn dabei ungewollt gezwungen, erwachsen zu werden.
In gewisser Hinsicht sollte Eamonn seinem Vater vielleicht dankbar sein - dankbar, dass er ihn zu dem eiskalten und gnadenlosen Killer gemacht hatte, der er heute war.
Kapitel einundzwanzig
Eamonn folgte Petey in die Wärme der Lennox Bar auf der Lennox Avenue. Hierhin retteten sich die rettungslos verlorenen Wetter - Männer, denen keine neuerliche Kreditverlängerung gewährt wurde oder die aus den verschiedensten Gründen erst gar keinen Kredit bekamen.
In der Lennox Bar konnten Männer spielen, die auf der schwarzen Liste standen. Alle Blicke richteten sich auf die Tür, als sie eintraten, und ein großer schlanker Mann mit rotblondem Haar und beeindruckend blauen Augen rutschte von seinem Barhocker und hastete zur Herrentoilette. Ohne zu zögern, setzten Petey und Eamonn ihm nach.
Sie durchquerten die Toilette und kletterten zum Fenster hinaus. In der Hintergasse wurde der flüchtige rotblonde Mann von Paddy und Seamus O’Connor festgehalten, zwei von Peteys schweren Jungs, die vorsorglich dort postiert worden waren.
Petey wischte
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