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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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    hatte ihn neu zementieren lassen wollen, doch er hatte nie das Geld dafür erübrigen können. Und jetzt war es zu spät.
    Winnie erwartete einen Wutanfall bei Rose, die ihm seit Jahren eingeschärft hatte, er solle den Keller reparieren.
    Doch Rose legte ihm nur wortlos den Arm um die Schulter und tätschelte ihm den Arm. Ihre unermüdliche Geduld mit ihm berührte ihn so sehr, daß ihm die Tränen kamen.
    »Sei nicht traurig, Rose. Ich mache es dieses Jahr wieder gut«, versprach Winnie.
    Einige Monate später erzählte ein Vertreter aus New Haven ihm von einer Ladung Baumwolle aus Indien, die er für weniger als einen Drittel ihres wahren Werts haben konnte, und Winnie dachte, der Moment sei gekommen, seine Verluste wettzumachen. Der Vertreter hatte eine Stoffprobe dabei.
    »Nur eintausend Dollar«, sagte der Vertreter. »Die einzige Schwierigkeit ist die, daß die Fracht nicht versichert ist. Die indische Firma ist in Konkurs gegangen und hat keinen Cent mehr.«
    Winnie dachte darüber nach. Er beschloß, keinen Fehler zu machen. »Ich werde sie von hier aus versichern«, sagte er. »Wie bald kann ich mit der Sendung rechnen?«
    »Sie ist schon unterwegs. Sie soll in drei Wochen via Suez und Gibraltar ankommen. Die Papiere sind nicht indossabel.«
    Winnie konnte keinen Vorteil in nicht indossablen Papieren sehen, wie es der Vertreter zu tun schien. Der einzige Vorteil war der niedrige Preis, und sogar Winnie war gewieft genug zu begreifen, warum er so niedrig war.
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    »Wollen Sie es wagen? Besiegeln wir das Abkommen mit etwas Barem?«
    »Ja«, sagte Winnie. Er gab dem Vertreter fünfundsiebzig Dollar in bar und den Rest als Scheck, ausgestellt auf seine Bank in Bingley, die ihm ein Darlehen einräumte.
    Auf den Tag drei Wochen nach dieser Transaktion erhielt Winnie ein Schreiben des Vertreters, das besagte, der Frachter Bena-Li aus Kalkutta mit Kurs auf Gibraltar habe im Mittelmeer Feuer gefangen und sei gesunken. Rose nötigte ihn, der Sache nachzugehen. Der Vertreter antwortete nicht auf Winnies Brief, aber die New Yorker Hafen-behörde bestätigte, daß ein Schiff besagten Namens zum genannten Zeitpunkt im Mittelmeer gesunken war. Die Fracht bestand aus Rohbaumwolle, Bambus und Tee.
    Stoffballen wurden nicht erwähnt.
    »Ich bin mir sicher, daß es nie das kleinste bißchen Stoff gegeben hat«, sagte Rose. »Warum hatte der Vertreter nur ein kleines Stückchen, das er dir zeigen konnte?«
    Winnie wußte, daß sie vermutlich recht hatte. Er stand mitten im Wohnzimmer und schämte sich so entsetzlich, daß ihm die Worte fehlten.
    »Weißt du, was du meiner Meinung nach tun solltest?
    Einmal richtig Urlaub machen«, sagte Rose. »Fahr nach Maine zum Fischen. Weißt du noch, wie du dir immer ge-wünscht hast, zum Fischen nach Maine zu fahren?«
    Winnie konnte sich kaum noch daran erinnern. Seit Jahren war es ihm nicht in den Sinn gekommen, Urlaub machen zu wollen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zum letztenmal Urlaub gehabt hatte. »Das habe ich nicht verdient, Rose.«
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    »Aber es würde dir wirklich guttun. Sperr den Laden einfach zu und fahr, Winnie. Noch in diesem Monat!«
    Winnie sagte, in der zweiten Julihälfte wäre es vielleicht möglich. Dann im August und dann im September, und es wurde nie etwas daraus. Er machte sich Sorgen wegen des Darlehens, das er der Bank zurückzahlen mußte. Winnie arbeitete weiterhin von sieben Uhr morgens bis zehn Uhr abends, räumte die Warenbestände auf, nahm Kleingeld ein, orderte Nachbestellungen in vorsichtigen Mengen und rechnete am Ende des Tages seine Einnahmen von 6,25 Dollar, 11,19 Dollar und manchmal nur 3,10 Dollar zusammen.
    Eines Abends faßte er den Sofaschoner auf der Rück-lehne seines Lehnstuhls an, und er zerfiel ihm unter den Fingern zu Staub. Besser gesagt, er löste sich auf wie Rauch. Er ließ die gewichtlosen Reste in den Papierkorb fallen. Sie waren so leicht, daß er bezweifelte, daß Rose sie überhaupt bemerken würde, wenn sie das nächste Mal den Korb ausleerte.
    Fünf weitere Jahre vergingen, und trotz so mancher kleinen Aufs und Abs belief Winnies Kontostand sich noch immer auf etwa hundertfünfundsiebzig Dollar, genau wie damals, nachdem Richard mit den siebenhundertfünfzig Dollar durchgebrannt war. Das einzige, was sich ver-
    änderte, war Roses Haar, das immer grauer wurde, und das Gefühl in Winnies Beinen, wenn er im Winter abends nach Hause trottete und die Füße anhob, um durch den Schnee vorwärts zu kommen. Von Winter

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