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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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wolle sie zu einer längeren Rede ansetzen.
    »Die ist ganz glücklich mit ihrem neuen Mann«, brummte George und griff wieder nach der Zeitung.
    »Was man von dir nicht behaupten kann, hm? Das war ein Fehler, George, ein großer Fehler.«
    Was war ein Fehler? Etwa Harrietta? George spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoß. Vor Zorn? Scham?
    George hatte zwei Jahre lang eine Freundin gehabt, Harrietta, und Liz war dahintergekommen. Sie hatte es durch eine vertratschte Sekretärin aus seiner Kanzlei erfahren (George gelang es, die Person aus anderen Gründen zu feuern), und fast zur gleichen Zeit hatte Harrietta ihn zur Rede gestellt und gefragt, ob er sich je von Liz scheiden lassen und sie heiraten würde. George hatte ja gesagt.
    Schließlich hatten sie sich im Bett und auch sonst gut verstanden, Harrietta hatte Köpfchen, und George und Liz hatten nur einen Sohn, der längst erwachsen war und in Kalifornien lebte, wo er eine eigene Familie gegründet und eine gute Stellung gefunden hatte. Als Liz von Harrietta erfuhr, fragte sie George, ob er die Scheidung wolle, und wieder hatte er ja gesagt. Die Ironie an der Geschichte war, daß Harrietta es sich plötzlich anders überlegte und vom Heiraten nichts mehr wissen wollte, während Liz nur drei, vier Monate später einen frisch geschiedenen Mann kennenlernte, der irgendwas mit dem Import von Melasse zu tun hatte und den sie heiratete. George hatte Liz' zweiten Mann ein paarmal getroffen. Ed Tuttle war ein wirklich feiner Kerl, grundanständig und von einer altmodischen Ritterlichkeit, die George zu der Zeit längst ausgestorben wähnte. Ja, Liz hatte es gut getroffen. George dagegen war 177
    so gekränkt gewesen durch Harriettas Sinneswandel, daß er sich von ihr getrennt hatte. Harrietta wollte unabhängig sein, auf sein Geld war sie nicht angewiesen, und sie hing an ihrem PR-Job bei United Artists. Liz und Ed war an einem freundschaftlichen Kontakt zu ihm gelegen. George war derjenige, der sich sperrte. Liz und Ed wohnten in einer Kleinstadt nördlich von New York, aber mit guter Ver-kehrsanbindung.
    »Du traust dich ihnen nicht unter die Augen«, sagte das Gespenst in seine Gedanken hinein. »Du bist der Verlierer, stehst ganz allein da, seit es keine Harrietta mehr gibt, mit der man heimliche Mitternachtssoupers feiern kann…« Die Stimme verhallte.
    George spürte einen Stich in der Brust, der einen bleibenden Schmerz hinterließ. Ja, er hatte verloren. Ein paar Dinge gab es zwar, die einen für das Alleinleben entschä-
    digten, aber doch nur sehr wenige. George kochte nicht gern und aß auch nicht gern allein auswärts, und sonntags fühlte er sich besonders einsam. Er und Liz waren am Sonntagnachmittag oft ins Museum gegangen oder ins Kino, hatten danach im Russian Tea Room oder in einem Hotel Tee getrunken und den Abend daheim gemütlich ausklingen lassen, mit einem kleinen Imbiß vor dem Zu-bettgehen. Das war schön gewesen. Bloß das Bett… in den letzten zehn Ehejahren hätte George genausogut mit seiner Schwester oder einem Bruder zusammen schlafen können.
    Fast war es ihm peinlich, sich daran zu erinnern.
    »Nimm dir noch eine.«
    George hatte schon eine ganze Weile das silberne Zigarettenetui auf dem Couchtisch angestarrt und sich 178
    gedacht, daß die Erscheinung ihn tadeln würde, falls er sich eine genehmigte. Jetzt klappte er das Etui auf, zögerte und beschloß, hart zu bleiben. »Dann nehm ich mir eine.«
    Hatte er das wirklich gehört? George sah, wie eine durchsichtige Hand eine Zigarette aus dem Etui nahm und nach dem Tischfeuerzeug griff. George hörte es klicken.
    »… nicht dein Gewissen«, sagte die leise Stimme, »bloß du. Du meinst, ich sei deine gute Seite? Hast du denn eine?
    Ha! … Aber ich glaube, wir haben auch unseren Spaß gehabt, oder? In unserem langen Leben?… Erinnerst du dich an Maggie?«
    George war entschlossen, der Sache ein Ende zu machen. Er stand auf, trank seinen Kaffee aus und wandte sich nach rechts (zufällig die Richtung, die von dem Gespenst wegführte), um über den Flur ins Bad zu gehen. Zwar kostete es ihn einige Überwindung, und sämtliche Muskeln verkrampften sich, aber er biß die Zähne zusammen und duschte kalt, wie er es sich vorgenommen hatte. Hinterher rubbelte er sich mit einem Badetuch ab. Ein flotter Spaziergang würde ihm jetzt guttun. Eingekauft hatte er gottlob schon gestern abend, denn heute war ihm nicht nach langweiligen Haushaltspflichten zumute. George rasierte sich rasch

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