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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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tatsächlich, aber Sasha hätte seine Liebe als das erkannt, was sie tatsächlich war: die Liebe eines Herrn zu seinem Hund.
    Er ist seinem Vater so sehr ähnlich, dachte Flagg. Und der alte Mann hat es nie gemerkt. O Tommy, wir werden zusammen eine herrliche Zeit erleben, du und ich, und wenn ich mit dir fertig bin, wird im Königreich königliches Blut fließen. Ich werde fort sein, aber ich werde nicht weit gehen, zumindest nicht gleich. Ich werde in Verkleidung gerade lange genug zurückkehren, um zu sehen, wie die Fliegen um deinen abgeschlagenen Kopf auf einem Pfahl kreisen … und um die Brust deines Bruders mit dem Dolch aufzuschlitzen, ihm das Herz herauszureißen und es roh zu verschlingen, wie dein Vater das Herz seines kostbaren Drachens aß.
    Lächelnd verließ Flagg das Zimmer.

48
    Die Krönung verlief ohne Probleme und Komplikationen. Thomas’ Personal (er hatte keinen persönlichen Diener, dafür war er noch zu jung, aber er würde bald einen bekommen) kleidete ihn zu diesem Anlass in erlesene Kleider aus schwarzem Samt, die mit Edelsteinen übersät waren ( Alles mein , dachte Thomas verwundert - und mit erwachender Habgier -, das alles ist jetzt mein ), sowie hohe schwarze Stiefel aus feinstem Ziegenleder. Als Flagg pünktlich um elf Uhr dreißig erschien und sagte: »Es ist Zeit, mein Lord König«, da war Thomas gar nicht so aufgeregt, wie er erwartet hatte. Das Beruhigungsmittel, welches der Zauberer ihm am Abend zuvor verabreicht hatte, wirkte immer noch.
    »Nehmt meinen Arm«, sagte er. »Falls ich stolpere.«
    Flagg nahm Thomas’ Arm. In den folgenden Jahren war dies eine Geste, an die die Einwohner der Stadt sich noch gewöhnen sollten - Flagg schien den jungen König zu stützen, als wäre er ein gebrechlicher Greis und nicht ein kräftiger Jüngling.
    Gemeinsam traten sie in den hellen Wintersonnenschein hinaus.
    Ein Jubelruf, so laut, dass er sich anhörte wie die Brandung, die an den langen, einsamen Strand der Östlichen Baronie spült, begrüßte ihr Erscheinen. Thomas sah sich um, weil ihn der Jubel verblüffte, und sein erster Gedanke war: Wo ist Peter? Dieser Jubel gilt doch ganz
gewiss Peter! Dann erinnerte er sich, dass Peter in der Nadel saß und der Beifall ihm gelten musste. Er spürte Freude in sich aufkommen … und ich muss euch sagen, diese Freude rührte nicht nur daher, dass er wusste, der Jubel galt ihm. Er wusste, dass Peter, der in seiner einsamen Zelle eingesperrt war, ihn auch hören konnte.
    Was bedeutet es jetzt, dass du im Unterricht immer der Bessere gewesen bist?, dachte Thomas mit einer garstigen Freude, die ihn einerseits erwärmte, andererseits auch ein wenig beschämte. Was bedeutet es? Du bist in der Nadel eingesperrt, und ich … ich werde König! Was spielt es für eine Rolle, dass du ihm jeden Abend ein Glas Wein gebracht hast und …
    Aber bei diesem letzten Gedanken trat ihm ein seltsam fettiger Schweiß auf die Stirn, und er verdrängte ihn rasch wieder.
    Der Jubel schwoll wieder und wieder an, als er und Flagg zuerst zum Platz der Nadel schritten und dann durch das Spalier der Leibgardisten mit den erhobenen Zeremonienschwertern, die wieder ihre roten Prunkuniformen und die hohen Wolfskiefer-Tschakos trugen. Thomas begann, eindeutig Gefallen an der Sache zu finden. Er hob eine Hand zum Gruße, und aus dem Jubel seiner Untertanen wurde ein Orkan. Männer warfen ihre Hüte in die Luft. Frauen weinten vor Freude. Rufe wie Der König! Der König! Seht den König! Thomas der Lichtbringer! Lang lebe der König! wurden laut. Thomas, der noch ein Junge war, dachte, dass ihm die Rufe galten. Flagg, der möglicherweise niemals ein Junge gewesen war, wusste es besser. Sie riefen, weil die Zeit der Unsicherheit vorüber war. Sie bejubelten die Tatsache, dass das Leben weiterging wie bisher, dass die Geschäfte
wieder geöffnet werden konnten, dass keine grimmig dreinblickenden Soldaten mit Lederhelmen mehr in der Nacht um das Schloss herum Wache stehen mussten, dass sich jeder im Anschluss an diese feierliche Zeremonie betrinken konnte und keine Sorgen zu haben brauchte, durch den Lärm einer mitternächtlichen Revolte aufgeschreckt zu werden. Nicht mehr und nicht weniger als das. Thomas hätte irgendjemand sein können. Irgendjemand. Er war nichts weiter als eine Galionsfigur.
    Aber Flagg würde dafür sorgen, dass Thomas selbst das nie erfuhr. Jedenfalls nicht, bis es zu spät war.
    Die Zeremonie selbst war kurz. Anders Peyna, der zwanzig Jahre älter aussah

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