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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Nacken des Tieres am Halfter. Yosef erzählte ihm, die Arbeiter im Steinbruch müssten genau abschätzen, wie schwer jeder Steinblock war.
    »Denn wenn die Quader zu schwer sind, dann verletzen sich die Ochsen vielleicht bei dem Versuch, sie zu ziehen«, meinte Peter. Es war keine Frage, weil es ihm
offensichtlich erschien. Ihm taten die Ochsen leid, die diese großen Steinquader schleppen mussten.
    »Nay«, sagte Yosef. Er zündete sich eine aus Getreidestroh gedrehte Zigarette an, flammte sich dabei um ein Haar seine Nasenspitze ab und sog tief und zufrieden den Rauch ein. Er mochte die Gesellschaft des jungen Prinzen. »Nay, Ochsen sind nicht dumm - die Menschen halten sie nur dafür, weil sie groß und zahm und hilfreich sind. Sagt mehr über die Menschen aus als über die Ochsen, wenn du mich fragst, aber vergiss das, vergiss das.
    Wenn ein Ochse einen Quader ziehen kann, dann zieht er ihn; wenn er ihn nicht ziehen kann, nun, dann versucht er es zweimal und bleibt dann mit gesenktem Kopf stehen, auch wenn ein böser Ochsenlenker seine Haut in Fetzen peitscht. Ochsen sehen dumm aus, aber das sind sie nicht. Kein bisschen.«
    »Warum müssen sie dann im Steinbruch auf das Gewicht der Steine achten, wenn die Ochsen wissen, was sie ziehen können und was nicht?«
    »Sind nicht die Quader, sind die Ketten .« Yosef deutete auf einen Ochsen, der einen Quader zog, der für Peter beinahe so groß wie ein kleines Haus zu sein schien. Der Ochse hatte den Kopf gesenkt, die Augen sahen geduldig geradeaus, während der Lenker auf ihm saß und ihn mit einem Stöckchen dirigierte. Am Ende der doppelten Kette glitt der Quader langsam dahin und schob Erde vor sich her. Er hinterließ eine Spur, die so tief war, dass ein kleines Kind sich hätte anstrengen müssen, um daraus hervorzuklettern. »Wenn ein Ochse einen Block ziehen kann, dann zieht er ihn, aber ein Ochse weiß nichts von Ketten und der Bruchbelastung.«
    »Was ist das?«

    »Wenn man fest genug an etwas zieht, wird es reißen«, sagte Yosef. »Wenn diese Ketten dort reißen würden, würden sie schrecklich herumfliegen. Es ist besser, nicht in der Nähe zu sein, wenn eine so schwere Kette reißt, an der ein Ochse mit all seiner Kraft zieht. Sie kann durch die ganze Gegend fliegen. Besonders nach hinten. Kann den Lenker treffen und ihn in Stücke reißen oder dem Tier selbst die Beine abhacken.«
    Yosef zog noch einmal an seiner selbst gedrehten Zigarette, dann warf er sie auf den Boden. Er betrachtete Peter mit einem verschmitzten, freundlichen Gesichtsausdruck.
    »Bruchbelastung«, sagte er. »Es ist gut, wenn ein junger Prinz darüber Bescheid weiß, Peter. Ketten brechen, wenn man sie zu sehr belastet, und Menschen manchmal auch. Vergiss das nie.«
    Jetzt dachte er wieder daran, als er an seinem ersten Strang zog. Welche Belastung wandte er an? Fünf Rull? Mindestens. Zehn? Vielleicht. Aber vielleicht war das nur Wunschdenken. Er würde sagen: Acht. Nein, sieben. Besser, sich nach unten zu verschätzen, wenn überhaupt. Wenn er sich verschätzte … nun, die Pflastersteine des Platzes der Nadel waren sehr, sehr hart.
    Er zog noch fester, nun begannen seine Oberarmmuskeln ein wenig hervorzutreten. Als die erste Kordel schließlich riss, schätzte Peter, dass er sie mit etwa fünfzehn Rull belastet hatte - fast vierundsechzig Pfund.
    Mit diesem Ergebnis war er nicht unzufrieden.
    Später in der Nacht warf er die gerissene Kordel zum Fenster hinaus, wo die Männer, die täglich den Platz der Nadel fegten, sie morgen zusammen mit dem anderen Straßenschmutz wegschaffen würden.

    Peters Mutter, die gesehen hatte, welches Interesse er an dem Puppenhaus und den winzigen Möbeln darin hatte, hatte ihm beigebracht, wie man Stränge flocht und diese zu winzigen Teppichen knüpfte. Wenn wir irgendetwas lange nicht mehr gemacht haben, dann vergessen wir manchmal, wie es genau geht, aber Peter hatte viel Zeit, und nach einer Weile fiel ihm wieder ein, wie das Flechten ging.
    »Flechten«, hatte seine Mutter es genannt, und daher nannte er es auch so, aber flechten war eigentlich nicht der richtige Ausdruck dafür. Flechten ist genau genommen das Verzwirbeln zweier Stränge mit der Hand. Knüpfen, wie Teppiche gemacht werden, ist das Verflechten von drei oder mehr Strängen. Beim Knüpfen werden zwei Stränge auseinandergelegt, Anfang und Ende auf gleicher Höhe. Der dritte wird zwischen sie gelegt, aber tiefer, so dass das Ende herausschaut. Dieses Muster wiederholt man,

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