Die Augen Rasputins
wieder Hausarrest. Es half nichts, traf sie den Dreckskerl eben abends. Albert Retling sprach einmal davon. Seine Frau hatte Patrizia zufällig mit einem Mann an der Bushaltestelle gesehen, in einer ziemlich eindeutigen Situation. Und Albert Retling fühlte sich auch noch verpflichtet, ein gutes Wort für die Liebenden einzulegen.
»Nun laß sie doch, Paul, mein Gott, in dem Alter! Wir waren doch auch mal jung. Und verbieten kannst du’s nicht. «
Und Pauls Frau sagte:
»Wenn du dich nur halb so viel darüber aufregen würdest, wäre die Sache längst ausgestanden. Laß sie in Ruhe, dann kommt sie schon von alleine darauf, daß dieser Mann nicht der richtige für sie ist. «
Und dann kam dieser Morgen, an dem Patrizia nicht zur Arbeit fahren wollte, an dem sie über Leibschmerzen klagte.
»Wir haben uns nichts dabei gedacht «, sagte Paul,»sie hatte schon mal Krämpfe, wenn sie ihre Periode bekam. Meine Frau riet ihr, im Bett zu bleiben. «
Er selbst war zum Dienst gefahren. Und dann rief seine Frau ihn an. Er fuhr sofort heim, im Wohnzimmer warteten zwei Beamte der Kriminalpolizei. Sie kamen gleich zur Sache. Viel schlimmer als alles, was Paul sich6 bis dahin vorgestellt hatte. Überfall, Raub, schwere Körperverletzung. Albert Retling hatte das Bewußtsein noch nicht wiedererlangt. Aber seine Frau hatte in der Nacht zweimal Patrizias Namen gehört, auch etwas von einem Schlüsselbund. Patrizia war immer noch in ihrem Zimmer, hatte sich dort eingeschlossen. Hatte den Polizisten, die sie aufforderten, die Tür zu öffnen, nicht einmal geantwortet. Aber die Tasche, die sie normalerweise mit zur Arbeit nahm, lag auf dem Garderobenschrank im Hausflur. Die Polizisten hatten sie kontrolliert. Und Paul Großmann mußte sich anhören, daß Patrizia den Täter möglicherweise kannte, ja, daß sie ihm vielleicht sogar die Schlüssel gegeben hatte.
»Da bin ich rauf zu ihr «, sagte Paul. Wie er ins Zimmer gekommen war, erwähnte er nicht. Doch so, wie er es schilderte, war nicht anzunehmen, daß Patrizia ihm die Tür geöffnet hatte. Sie stand am Fenster, als er ins Zimmer kam. Auf ihrem Bett lag ein kleiner Koffer, vollgepackt mit dem Nötigsten. Im ersten Augenblick war Paul nur dankbar. Er hatte die Kriminalbeamten gebeten, im Wohnzimmer zu warten. Aber der Lärm, den das Öffnen der Tür verursacht hatte, hatte sie bereits in den Hausflur gebracht. Er hörte ihre Schritte auf der Treppe. Die Zeit reichte gerade noch, um den Koffer von ihrem Bett zu nehmen und ihn darunter verschwinden zu lassen. Dann setzte auch das Denken ein. Das Begreifen, da hatte er sich nun alle Mühe gegeben, seine Töchter zu ehrlichen und rechtschaffenen Menschen zu erziehen. Und dann kam so ein Schweinehund daher. Und sie war tatsächlich darauf vorbereitet, mit diesem Kerl zu verschwinden. Paul wußte gar nicht mehr, wie er ans Fenster gekommen war. Nur daß er auf sie einprügelte, bis einer der Polizisten ihn wegriß. Sie gab keinen Laut von sich, lag da auf dem Boden vor ihm, rührte sich nicht. Er hatte sie böse zugerichtet, und sie hatte nicht einmal einen Arm vors Gesicht gehoben. 7 Einer der Polizisten sagte:
»Das Mädchen ist ja gar nicht bei sich. «
Da bemerkte auch Paul endlich, in welchem Zustand sich seine Tochter befand. Zu Ed sagte er:
»Sie war wirklich nicht bei sich. Sie war wie eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht. So war sie ein paar Tage lang. Ich bin mit ihr zum Arzt gegangen, der meinte, sie steht unter Schock. «
Aber den Namen, den die Polizisten von ihr hören wollten, konnte auch Paul nennen. Es kam nur einer in Betracht. Ed hatte bis dahin mit wachsender Fassungslosigkeit zugehört. Er widersprach beinahe heftig:
»Sie kann nichts davon gewußt haben. Ihre Eintragungen… «
Paul winkte ab.
»Ihre Eintragungen «, wiederholte er, es klang resignierend.
»Sie hat es so geschrieben, wie sie es gerne gesehen hätte. Was da wirklich vorgegangen ist, zwischen ihr und ihm, davon finden Sie nichts. «
»Aber Schramm selbst sagte doch vor Gericht… «
begann Ed noch einmal. Und Paul winkte noch einmal ab.
»Ich weiß, was er gesagt hat, ich war ja dabei, und ich habe es später noch oft genug gelesen. Aber so war es nicht. So kann es ja gar nicht gewesen sein. Sie ist doch nicht von allein auf die Idee gekommen, ihren Koffer zu packen. Und dann die Leibschmerzen, ausgerechnet an dem Morgen. Wahrscheinlich wußte sie nicht genau, was er vorhatte. Ich kann mir nicht vorstellen,
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