Die Augen
Helfer, die kaum als Adepten durchgehen, aber auf die meisten Agenten im Außendienst trifft die Bezeichnung zu. Verschiedene Fähigkeiten, unterschiedlich stark ausgeprägt. Wir setzen unsere Fähigkeiten als ein Werkzeug unter vielen ein, um Verbrechen aufzuklären. Unnötig zu sagen, dass wir darüber im Allgemeinen Stillschweigen bewahren, jedenfalls gegenüber der Öffentlichkeit.«
Kendra murmelte: »Sie verstehen natürlich, warum.«
Maggie lächelte. »Oh, natürlich. So etwas möchte das FBI logischerweise nicht an die große Glocke hängen, zumal wenn man an die PR-Albträume der letzten Jahre denkt.«
»Eben.«
»Und dann ist da der ganz Glaubwürdigkeitsfaktor. Telepathie? Präkognition? Nicht ganz das, was im Grundkurs Methoden der Verbrechensbekämpfung gelehrt wird. Sie verwenden nicht nur unwissenschaftliche Methoden, Sie sind schon gar nicht mehr von dieser Welt.«
Quentin grinste. »Manchmal schon nicht mehr aus diesem Sonnensystem. Eines Tages muss ich Sie mal mit einem jungen Medium bekannt machen, das ich kenne – sie spricht mit den Toten.«
»Ich kann es kaum erwarten.«
»Sie ist überzeugend, glauben Sie mir. Aber zurzeit rümpfen traditionelle Cops normalerweise die Nase über das, was sie nicht begreifen, selbst bei einer so soliden Erfolgsbilanz wie unserer. Deshalb heißt es von uns zwar, dass wir ›unkonventionelle Ermittlungsmethoden‹ einsetzen, aber wir halten uns so viel wie möglich an die traditionelle Polizeiarbeit.«
»Hm. Also behaupten Sie im Allgemeinen, Sie seien konventionelle Agenten mit … ein paar Glückstreffern und ein bisschen Intuition? Ich wette, Sie haben viel Spaß dabei, sich logisch klingende Erklärungen dafür auszudenken, woher Sie wissen, was Sie wissen.«
»Es kann knifflig sein«, räumte Quentin ein.
»Ja, das kann ich mir vorstellen. Und mich haben Sie eingeweiht, weil ich – mutmaßlich – auch hellsehen kann?«
»Wir wollten einfach alle Karten auf dem Tisch haben«, meinte Kendra.
»Unserer Erfahrung nach fühlen sich Hellseher außerhalb unserer Einheit viel wohler in der Zusammenarbeit mit uns, wenn sie erst begreifen, dass wir verstehen, was sie durchmachen.«
Maggie blickte zu John, dessen Miene ausdruckslos war, dann sah sie Kendra mit hochgezogener Augenbraue an. »Und – verstehen Sie es?«
»Ehrlich gesagt, Sie liegen ein bisschen jenseits sogar unseres Erfahrungshorizonts, Maggie. Wir haben einen Empathen in der Einheit, aber er ist bei weitem nicht so stark, wie Sie offenbar sind.«
»Oder so … einzigartig fokussiert«, fügte Quentin hinzu. »Empfangen Sie nur Eindrücke von gewalttätigen Ereignissen?«
Im Gegensatz zu den beiden anderen zögerte Maggie, ehe sie antwortete, doch schließlich zuckte sie mit den Achseln und sagte: »Dann sind sie am stärksten, vielleicht, weil ich mich all die Jahre eben darauf konzentrieren musste. Orte, an denen sich Gewalttaten ereignet haben, Menschen, die Traumata und Gewalt erfahren haben. Ich kann normalerweise auch andere Gefühle empfangen, wenn ich mich bemühe, aber schwächer, und sie … haben nicht solche Auswirkungen auf mich wie … Gewalt und Schmerzen.«
Sachlich, doch nicht ohne Mitgefühl, sagte Quentin: »Da sind nicht nur die realen Schmerzen und die traumatischen Emotionen, sondern hinterher sind Sie genauso erschöpft, als wäre das Ereignis wirklich Ihnen widerfahren.«
Sie nickte. »Manchmal bin ich nur ein bisschen müde, manchmal brauche ich hinterher zehn oder zwölf Stunden Schlaf, ehe ich mich wieder normal fühle.«
»Und es sind sämtliche Sinne, nicht wahr? Sie fühlen, was die anderen fühlen, sehen, was sie sehen, riechen, was sie riechen – alles.«
Erneut nickte Maggie, sich Johns Aufmerksamkeit nunmehr sehr bewusst. Er hatte ihr erzählt, dass Andy ihre Wahrnehmungen im Haus der Mitchells am Vortag bestätigt hatte, doch er hatte ihr nicht gesagt, ob dies für ihn irgendetwas geändert hatte. Und in Gegenwart der beiden Agenten schirmte sie sich ab, sodass sie keine Ahnung hatte, was er empfinden mochte.
Kendra sagte: »Genauso ist es, wenn Sie eine Verbindung zu Opfern darstellen? Wenn sie noch einmal durchleben, was ihnen widerfahren ist?«
»In etwa. Manchmal hat ihr eigener Verstand … dem Schmerz schon seine scharfen Kanten genommen, dann ist er nicht so intensiv. Aber manchmal überwältigen mich ihre Gefühle fast, dann kann ich mich kaum so weit konzentrieren, um ihnen Fragen zu stellen oder ihren Antworten richtig zuzuhören.«
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