Die Auserwählte: Roman (German Edition)
nicht stehen lassen. »Und wo soll mein Bruder sitzen?«
Jeremy fluchte unterdrückt. Er biss die Zähne zusammen. Ballte die Fäuste. »Du musst ohne ihn mitkommen.«
»Kommt nicht infrage. Warum möchtest du, dass ich …?«
Ich verstummte und dachte daran, was ich gesehen hatte, als Jeremy mir seine Hände auf die Augen gepresst hatte: mich, wie ich in die Spalte stürzte. In dieselbe Spalte, in die ich heute Abend beinahe gefallen wäre. »Irgendwas wird passieren, nicht wahr?«, sagte ich und machte große Augen. »Du hast es gesehen.«
Jeremy bekam keine Gelegenheit, das zu bestätigen oder zu verneinen, denn in diesem Moment öffnete sich die Tür des Aufzugs und eine neue Gruppe von Rovern strömte in den Raum.
Sie waren in Weiß gekleidet. Ganz in Weiß. Sie leuchteten im Schwarzlicht wie eine Meute von Gespenstern.
»Das ist gar nicht gut«, sagte Jeremy.
Die Jünger glitten zum DJ-Pult, wobei ihre Füße den Boden kaum zu berühren schienen. Sie waren jung. Keiner von ihnen sah älter als zwanzig aus, doch das mochte auch an der unschuldigen Ausstrahlung ihres leeren Gesichtsausdrucks liegen.
Einige Rover, die vor den Aufzügen tanzten, hatten die Jünger bemerkt, und ihre Bewegungen kamen zum Stillstand wie die von abgelaufenen Aufziehspielzeugen. Die beiden DJs blickten auf und sahen, dass die Prozession genau auf sie zuhielt. Sie waren völlig entgeistert und vergaßen ihre Platten. Als sie einen Übergang verpassten, nahmen weitere Rover die Jünger zur Kenntnis. Klagen wurden laut, verstummten jedoch schnell wieder, als sich immer mehr Anwesende der Situation bewusst wurden.
Die beiden Jünger an der Spitze der Prozession, ein Junge und ein Mädchen, deren Haar so blond war, dass es genauso hell leuchtete wie ihre weiße Kleidung, kamen vor dem DJ-Pult zum Stehen. Ich erkannte sie aus der Stunde des Lichts wieder. Es handelte sich um zwei von Prophets adoptierten Kindern, um die außergewöhnlich großen Zwillinge.
Die übrigen Jünger kamen mir ebenfalls bekannt vor. Ich erinnerte mich an eine Überschrift, die ich in Schiz’ Blog gelesen hatte – Wo steckt der zwölfte Apostel? –, und zählte sie. Sie waren nur zu elft, aber ich war mir sicher, dass es sich bei ihnen um Prophets adoptierte Kinder handelte.
Ich warf Jeremy einen Blick zu und sah seinen grimmigen Gesichtsausdruck. Hatte er gewusst, dass Prophets Apostel hierherkommen würden? Hatte er es gesehen, so wie er mich in die Wüste hatte kommen und in die Spalte hatte fallen sehen?
Panik verdrehte meinen Magen zu grausamen Knoten. Wo steckte Parker?
Die Zwillinge sprachen kurz mit den DJs. Ihre Stimmen waren so leise, dass sie niemand hören konnte. Die DJs schüttelten wiederholt den Kopf, doch die anderen Apostel umringten sie, bis sie den Zwillingen schließlich gaben, was sie wollten.
Sie händigten ihnen ihre Mikrofone aus und stellten die Musik ab.
Im Raum wurde es plötzlich so still, dass ich das Gefühl hatte, von einem Augenblick auf den anderen taub geworden zu sein.
Die Zwillinge wandten sich mit leuchtenden, aber leeren Augen an ihr Publikum von verdutzten Rovern, wobei ein Lächeln ihre Mundwinkel unnatürlich hoch anhob.
Jeremy stupste mich an und deutete mit einem Nicken auf eine Tür auf der anderen Seite des Raums. Neben der Tür befand sich ein kleines Schild, auf dem ein Strichmännchen abgebildet war, das eine Strichmännchen-Treppe hinunterging.
Ich schüttelte den Kopf.
»Hallo«, sagte die Zwillingsschwester ins Mikrofon, und ihre Stimme dröhnte.
»Guten Abend.« Der Zwillingsbruder machte eine kleine Verbeugung. »Ihr fragt euch wahrscheinlich, warum wir eure Party unterbrechen.«
Schweigen von den Rovern. Ich rechnete jeden Moment mit einem Aufruhr, doch sie schienen unter Schock zu stehen.
»Wir sind gekommen, um eine wichtige Botschaft von Rance Ridley Prophet von der Kirche des Lichts zu überbringen«, sagte die Zwillingsschwester, und ihr Lächeln wurde breiter, obwohl es ohnehin schon fast über die Grenzen ihres Gesichts hinausging. »In zwei Tagen werdet ihr alle sterben.«
Ich hielt es nicht für möglich, dass sich das Schweigen noch intensivieren könnte, doch das tat es. Bis der Zwillingsbruder es brach.
» Es sei denn «, fügte er hinzu, »ihr kommt mit einem reuevollen Herzen zu Prophet und überlasst eure Seele seiner Gnade.«
»Noch ist es nicht zu spät«, warf die Zwillingsschwester ein. »Ihr könnt noch errettet werden. Ihr braucht ihn nur demütig um seinen Segen
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