Die Auserwählte
Salben?«
»Es ist die heilige Salbe«, erwiderte Allan matt. Er sah Yolanda einen Moment lang an, dann zuckte er mit den Achseln. »Wofür es tatsächlich gut ist…« wand er sich. »… ich meine, es ist sehr alt… wahrscheinlich… Der Punkt ist«, erklärte er und beugte sich über den Schreibtisch vor, »Großvater glaubt… er ist überzeugt… er weiß, tief in seinem Herzen, daß es… wirkt.« Allan warf mir einen Blick zu. Er schlug sich mit der Faust gegen die Brust. »Hier drin weiß Salvador, daß es wirkt. Wir respektieren das.« Er warf mir abermals einen Blick zu. »Wir alle respektieren das.«
»Ich habe es nicht genommen«, wiederholte ich. »Es war in meiner Tasche. Ich habe es dort gefunden. Da war auch ein Zettel.«
»Was?« fragte Erin. Allan schloß nur die Augen.
»Ein Zettel«, sagte ich. »Mit einer Notiz von Salvador.«
»Ein Zettel?« fragte Erin. Ich konnte den Unglauben in ihren Augen erkennen, konnte ihn in ihrer Stimme hören.
»Ja«, bestätigte ich. »Nun… er war mit einem ›S‹ unterschrieben.«
Allan und Erin tauschten einen vielsagenden Blick. »Was stand auf dem Zettel?« seufzte Erin.
»Da stand einfach nur: ›Für den Fall, daß du es brauchst‹«, erklärte ich den beiden. »Und darunter ein ›S‹.«
Wieder sahen die beiden sich an. »So war es!« rief ich aus. »Glaube ich. Irgend etwas in der Richtung zumindest. Ich glaube, das waren die Worte… es könnte auch ›Für alle Fälle, S‹ gewesen sein. Irgendwas in der Art…«
»Hast du diesen Zettel noch?« fragte Erin.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, gestand ich. »Nein. Er ist weg. Ich glaube, die Polizei – «
»Bitte nicht, Isis«, sagte Erin; sie schüttelte den Kopf und ging weg, die Hand abermals über die Augen gelegt. »Bitte nicht. Bitte tu das nicht. Mach es nicht noch schlimmer…«
Allan murmelte etwas und schüttelte den Kopf.
»Aber es stimmt!« rief ich aus und sah von Erin zu Yolanda, die meine Hand tätschelte.
»Ich weiß, ich weiß, Darling; ich glaube dir.«
»Isis«, sagte Erin, während sie zu mir zurückkam und eine meiner Hände ergriff. »Ich glaube wirklich, es wäre besser, wenn du einfach zugeben würdest, daß du – «
»Hör zu«, mischte Yolanda sich ein, »wenn sie sagt, sie hätte das gottverdammte Zeug nicht genommen, dann hat sie es nicht getan, okay?«
»Schwester Yolanda – «
»Und ich bin nicht deine Scheiß-Schwester.«
»Isis«, sagte Erin ernst, während sie sich von meiner Großmutter an mich wandte und nun meine beiden Hände ergriff. »Tu das nicht. Dein Großvater ist schrecklich aufgeregt. Wenn du einfach nur beichten würdest – «
»Was, seid ihr jetzt Scheißkatholiken?«
»Isis!« sagte Erin, ohne sich um meine Großmutter zu kümmern. Ich sah zu Yolanda, doch Erin zog an meinen Händen und drehte mich wieder zu sich um. »Isis, gesteh es doch, sag einfach, du hättest es aus einer Laune heraus genommen; sag, du hättest es für etwas anderes gehalten; sag, du – «
»Aber das alles ist nicht wahr!« protestierte ich. »Ich habe die Phiole in meiner Tasche gefunden, und es war ein Zettel daran festgebunden. Nun, nicht wirklich festgebunden; es war ein Gummiband – «
»Isis!« sagte Erin und schüttelte mich wieder. »Hör auf! Du reitest dich nur tiefer hinein!«
»Nein, tue ich nicht! Ich sage die Wahrheit! Ich werde nicht lügen!«
Erin ließ meine Hände mit einem Ruck los und ging zu dem kleineren Schreibtisch. Dort blieb sie stehen, eine Hand ans Gesicht erhoben, und ihre Schultern bebten.
Yolanda tätschelte abermals meinen Arm. »Erzähl’s genauso, wie es gewesen ist, Kleines. Sag einfach die Wahrheit, und zum Teufel mit ihnen allen.«
»Isis«, sagte Allan mit bleierner Stimme. Ich wandte mich zu ihm um, noch immer ergriffen von dem Gefühl, alles geschähe in einer seltsamen, zähen Flüssigkeit, in der ich trieb. »Ich kann nicht…« Er holte tief Luft. »Hör zu«, sagte er. »Ich…« er blickte zur Tür, »ich werde mit Salvador reden, in Ordnung? Vielleicht hat er sich nachher wieder etwas beruhigt. Vielleicht könntet ihr beide dann… du weißt schon, miteinander reden. Du mußt dich entscheiden, was du sagen willst. Ich kann dir nicht raten, was du sagen sollst, aber er ist wirklich sehr wütend und… Nun, du mußt für dich selbst entscheiden, was das Beste ist. Ich…« Er schüttelte den Kopf und starrte auf seine Hände, die er auf dem Schreibtisch gefaltet hatte. »Ich weiß nicht, was
Weitere Kostenlose Bücher