Die Auserwählte
ich von der ganzen Sache halten soll, es ist… es ist so…« Er stieß ein leises, verzweifeltes Lachen aus. »Wir sollten alle beten und auf Gott vertrauen. Hör auf Ihn, Isis. Hör darauf, was Er dir zu sagen hat.«
»Ja«, erwiderte ich, während ich mir die Tränen mit meinem Ärmel und dann mit einem Taschentuch, das Yolanda mir reichte, trocknete. Ich richtete mich auf. »Ja, natürlich.«
Allan sah auf die Bürouhr, hoch oben an der Wand. »Wir sollten ihm besser bis heute abend Zeit lassen. Wirst du in deinem Zimmer sein?« fragte er.
Ich nickte. »Vielleicht mache ich zuerst noch einen Spaziergang, aber später, ja.«
»In Ordnung.« Er hob seine flachen Hände von der Schreibtischplatte und ließ sie wieder herunterklatschen. »Wir werden sehen, was wir tun können.«
»Danke«, sagte ich schniefend und reichte meiner Großmutter ihr Taschentuch zurück. Ich nickte ihr zu, und wir wandten uns zum Gehen.
Erin stand noch immer da und starrte auf den Schreibtisch neben der Tür. Ich blieb stehen, grub in meiner Jackentasche und holte ein aufgerolltes Bündel Pfundnoten heraus, das mit einem Gummiband zusammengehalten wurde. Ich legte die Rolle auf den Schreibtisch und fügte zwei Ein-Pence-Münzen aus meiner Hosentasche hinzu. Erin schaute auf das Geld.
»Siebenundzwanzig Pfund, zwei Pence«, erklärte ich.
»Sehr schön«, erwiderte Erin tonlos. Yolanda und ich verließen den Raum.
*
»Ich vermute, ein Anwalt wäre wohl fehl am Platz«, sagte Yolanda, während wir nach unten gingen.
»Ich glaube auch, Oma.«
»Nun, als erstes sollten wir zu einem Hotel fahren, oder wenigstens nach Stirling, und uns ein schönes Mittagessen genehmigen. Ich brauche eine Margarita.«
»Danke, Oma«, sagte ich, als wir den Fuß der Treppe erreichten; ich blieb stehen und drehte mich zu Yolanda um. »Aber ich denke, ich möchte einfach… du verstehst schon, ich möchte eine Weile allein sein.«
Sie schaute mich verletzt an. »Du schickst mich weg, ist es das?«
Ich überlegte, wie ich sagen könnte, was ich sagen wollte. »Ich muß nachdenken, Yolanda. Ich muß…« Ich atmete tief durch, und mein Blick huschte über die Wände, die Decke und wieder die Stufen hinunter, bis er abermals auf meiner Großmutter ruhen blieb. »Ich muß mich wieder in den Menschen zurückdenken, der ich bin, wenn ich hier bin, verstehst du, was ich meine?«
Sie nickte. »Ich denke schon.«
»Du hast so viel für mich getan«, erklärte ich ihr. »Ich – «
»Vergiß es. Bist du sicher, daß ich nicht lieber in der Nähe bleiben soll?«
»Nein, das mußt du wirklich nicht.« Ich schenkte ihr ein tapferes Lächeln. »Fahr du nur nach Prag, schau dir deinen roten Diamanten an.«
»Scheiß auf den Diamanten. Und Prag wird übermorgen auch noch da sein.«
»Ehrlich gesagt, es wäre besser, wenn du fährst. Dann hätte ich nicht das Gefühl, ich hätte auch noch dein Leben völlig aus den Angeln gehoben.« Ich setzte ein munteres Lächeln auf und schaute mich mit einem Gesichtsausdruck um, der einen Optimismus bekundete, den ich nicht empfand. »Es wird sich alles aufklären. Es ist eine von diesen dummen Sachen, die halt passieren, wenn man an einem Ort lebt, wo jeder jedem ständig auf der Pelle hängt; ein Sturm im Wasserglas.« Ich brachte ein keckes Grinsen zustande, wie ich hoffte.
Yolanda musterte mich ernst. »Paß bitte auf dich auf, Isis.« Sie legte ihre Hand auf meine Schulter und senkte ihren Kopf ein wenig, während sie mich mit ihrem Blick fixierte. Es war eine seltsam liebevolle Geste. »Es war hier nie das reine Paradies, Darling«, erklärte sie mir. »Du hast immer nur die schönen Seiten gesehen, und jetzt lernst du zum ersten Mal die Schattenseiten kennen. Aber die waren immer schon da.« Sie klopfte mir auf die Schulter. »Nimm dich vor Salvador in acht. Die alte Zhobelia hat mir mal erzählt…« Sie zögerte. »Nun, um ehrlich zu sein, ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, was sie andeuten wollte, aber da war etwas, soviel ist mal sicher. Etwas, was dein Großvater verbirgt; etwas, was sie über ihn wußte.«
»Sie waren… sie waren verheiratet«, sagte ich zögernd. »Alle drei waren verheiratet. Ich kann mir vorstellen, daß sie untereinander eine Menge kleiner Geheimnisse hatten…«
»Hmm.« Yolanda war offensichtlich nicht überzeugt. »Nun, ich habe mich jedenfalls immer gefragt, warum sie weggegangen ist, warum sie einfach so verschwunden ist, nach dem Brand; kommt mir irgendwie spanisch vor.
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