Die Auserwählte
ich halte mich ganz gut. Wie steht’s mit dir?«
»Gesund und munter, danke der Nachfrage, Isis. Aber was sind das für Probleme, von denen du da gesprochen hast?«
Wir haben die Pforte erreicht. »Nun, Onkel«, sagte ich und hielt die Pforte für ihn auf. Er trat einen Schritt beiseite, um Bernadette den Vortritt zu lassen. Sie nickte und ging durch die Pforte. Ich wartete, bis Onkel Mo ebenfalls hindurchgegangen war, dann sagte ich mit einem Ausdruck unschuldiger Überraschung auf dem Gesicht: »Schwester Bernadette?«
Sie sah mich an. Ich schaute zur Straße, dann wieder zurück zu ihr. »Was ist mit dem Lieferwagen?«
Sie runzelte die Stirn. »Dem -?« Sie lief krebsrot an. »Oh… ich…« Sie schaute wieder zur Auffahrt. »Er kann… äh…«
»Ich weiß«, sagte ich. »Ich werde Onkel Mo zum Haus begleiten; dann kann ich ja wieder zurückkommen und dir mit den Kisten helfen, wenn du möchtest.«
»Ähm…« Sie schüttelte hilflos den Kopf. »Ach, egal!« erklärte sie und wandte sich ab. Als sie sich wieder zu mir umdrehte, stand ihr wieder ein verzweifeltes Lächeln auf dem Gesicht. Onkel Mo und ich sahen einander an und zogen kurz die Augenbrauen hoch, das mimische Äquivalent eines Achselzuckens. Jemand, der nicht mit allen Einzelheiten der Situation vertraut war, hätte denken mögen, daß wir übereinkamen, daß von uns dreien nur zwei recht passable Lügner und einer völlig unfähig war, und vielleicht taten wir das in gewisser Hinsicht auch.
»Dann gehen wir eben beide mit«, sagte ich.
»Prächtig. Ich werde eine Schönheit an jedem Arm haben«, erklärte Onkel Mo zufrieden.
»Es ist wirklich eine Überraschung, Onkel Mo«, sagte ich mit Nachdruck, während wir zum Haus gingen.
»Ja«, erwiderte er. »Ja, so kann’s einem gehen; ich war schon immer ein Freund schneller Entschlüsse!«
»Ich wette, der Lieferwagen wird erst später kommen«, plapperte Bernadette. »Ich werde nachher zurückgehen und auf ihn warten.«
»Gute Idee, Schwester.«
»Sehr gut. Prächtig.«
Und so marschierten wir mit unseren diversen Lügen die Auffahrt hinunter zur Farm. Ich erzählte Onkel Mo eine kurze Version meiner Reisen und erklärte die Sache mit dem Zhlonjiz. Trotz der Tatsache, daß er ein Mann war, machte ich für ihn eine Ausnahme und erwähnte in einem Nebensatz schüchtern, daß Großvater am vergangenen Abend zudringlich geworden sei. Onkel Mo zog kurz die Stirn kraus, dann schaute er etwas verblüfft drein, doch schließlich schien er die ganze Angelegenheit mit einem verwirrten Lächeln abzutun, so als ob wir einander offenkundig mißverstanden haben mußten. Bernadette fuhr erschreckt zusammen; sie stolperte über ein Schlagloch, fing sich jedoch mit Hilfe ihres Regenschirms wieder, der sich dabei verbog.
»Ich denke, dein Regenschirm hat schon bessere Tage gesehen«, bemerkte Onkel Mo. Bernadette musterte den Schirm betrübt und nickte.
Onkel Mo holte einen recht beachtlichen Flachmann aus seiner Manteltasche und genehmigte sich einen anständigen Schluck daraus, als wir uns den Gebäuden der Gemeinde näherten. »Medizin«, erklärte er uns.
Als wir den Hof betraten, nahm er mir seine Tasche aus der Hand; Bernadette wollte anscheinend direkt auf das Herrenhaus zuhalten, änderte dann jedoch ihre Absicht. Ich brachte sie und Onkel Mo zur Tür der Küche, dann verabschiedete ich mich von ihm.
»Kommst du nicht mit hinein?« fragte er mich auf der Schwelle. Ich konnte das Aroma gekochter Speisen riechen und hörte, wie sich das Stimmengemurmel allgemeiner Unterhaltung in einen Chor lauter und freudiger Begrüßungsrufe verwandelte.
Ich senkte den Kopf und lächelte traurig. »Ich… ich wurde gebeten, davon Abstand zu nehmen«, gestand ich.
Onkel Mo faßte mich am Ellenbogen und drückte ihn. »Du armes Kind«, sagte er und wirkte dabei sehr ehrlich.
»Mach dir keine Sorgen, Onkel«, beruhigte ich ihn. Meine Miene hellte sich auf. »Wie dem auch sei; ich bin überzeugt, daß für dich ein Platz am Tisch frei sein wird. Genieße das Essen; ich sehe dich dann später.«
»Ich werde sehen, was ich für dich tun kann, Isis«, sagte er.
»Danke«, flüsterte ich. Ich trat zurück, dann drehte ich mich um und ging davon. Ich hielt meinen Kopf für einige kleine, verhaltene Schritte gesenkt, dann hob ich ihn wieder stolz, während meine Schritte länger wurden und ich mich aufrichtete. Wieviel von dieser kleinen Vorstellung Onkel Mo mitkriegte, vermag ich nicht zu sagen, aber ich war doch
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