Die Auserwählte
wollt.«
»Hmm, klar«, erwiderte Roadkill unverbindlich.
Als ich die Worte ausgesprochen hatte, fragte ich mich jedoch, wen ich eigentlich zu überzeugen suchte. Soweit es mich betraf, bestand tatsächlich ein gewisses Maß an, nun, vielleicht nicht Zwang, aber zumindest Erwartung, daß ich voll an diesem Fest teilhaben würde, selbst wenn Morag kommen sollte (ich erinnerte mich an Großvaters nur wenige Tage zurückliegende Bemerkung bezüglich meines »gesunden« Aussehens und daran, daß er mir ans Herz gelegt hatte, mich zu amüsieren). Ich mochte kaum darüber nachdenken, unter welchem Druck ich stehen würde, wenn meine Cousine nicht zum Fest kam. Es schien mir, daß in diesem Fall ziemlich viel von meinen Eierstöcken erwartet wurde.
Roadkills Gedankengänge waren offensichtlich in derselben Richtung verlaufen. »Also, warst du noch minderjährig beim letzten Mal, oder ist dies dein erstes großes… du weißt schon, dein erstes Mal? Dieses Fest«, sagte sie und lächelte mich an, während sie anzüglich eine ihrer rosagefärbten Augenbrauen hochzog.
Ich erwiderte das Lächeln so zuversichtlich, wie ich es vermochte. »Nun, ja, es ist im Rahmen des Möglichen, daß ich diesmal im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen werde.«
»Irre. Hast du dir schon jemanden ausgeguckt, als Vater, meine ich?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Ich denke noch darüber nach«, erwiderte ich, was in gewisser Hinsicht der Wahrheit entsprach.
»Muß man vorher heiraten oder so was?«
»Nein. Wir betrachten die Ehe nicht als unbedingte Voraussetzung für Liebe und Fortpflanzung; einige Leute behandeln ihre Partner in der Tat besser ohne diese Form von Verpflichtung, und einige sind besser als alleinerziehende Eltern geeignet, besonders in unserer Gemeinde, wo die Fürsorge für die Kinder geteilt werden kann. Wenn ich aber heiraten wollte, dann könnte ich es. Um genau zu sein, könnte ich mich sogar selbst trauen«, erklärte ich Roadkill, die mich daraufhin doch etwas zweifelnd anblickte. Ich erklärte es eingehender. »Als geistlicher Würdenträger der Sekte der Luskentyrianer bin ich bevollmächtigt, alle religiösen Zeremonien, einschließlich Eheschließungen, vorzunehmen, und es gibt einen Präzedenzfall dafür, daß der die Trauung vollziehende Geistliche selbst einer der Brautleute ist.«
»Völlig abgedreht«, murmelte Roadkill.
»Hmmm«, erwiderte ich. »Aah.« Ich deutete mit einem Nicken auf die Gasse, die zur Rückseite des besetzten Hauses führte. »Da wären wir.«
*
Im Februar 1949 beschloß mein Großvater, Aasni und Zhobelia Asis zu heiraten; er hatte sich – nicht nur mit Gottes Zustimmung, sondern tatsächlich auf ihr Drängen hin – den Titel »Hochwürden« verliehen, was bedeutete, daß er religiöse Zeremonien leiten konnte. Die Schwestern stimmten zu, daß ihre ménage à trois einen offiziellen Charakter erhalten sollte, und daraufhin wurde eine Zeremonie in einer speziell ausgeschmückten Halle der alten Seetang-Fabrik abgehalten. Der einzige Trauzeuge war Eoin McIlone, der Bauer, der den Schwestern und später auch Großvater Unterkunft und Hilfe gewährt hatte. Er und Salvador hatten sich angewöhnt, mehrere Abende in der Woche in der Abstellkammer-Bibliothek auf dem zwei Meilen von der Seetang-Fabrik gelegenen Luskentyre-Hof Dame zu spielen. Sie stritten sich an jedem dieser Abende unablässig und mit wachsender Inbrunst, während sie langsam immer mehr und mehr von Mr. McIlones Whisky tranken, aber sie freuten sich beide – teils, weil sie beide das Streiten liebten, und teils, weil sich keiner der beiden beim Aufwachen am nächsten Morgen (Mr. McIlone allein in seinem schmalen Alkovenbett in seinem alten Farmhaus, Großvater zwischen den beiden Asis-Schwestern in seinem Bett auf dem Fußboden des alten Fabrikbüros) je daran erinnern konnte, um was der Streit eigentlich gegangen war – immer wieder von neuem auf ihre Damespiele, den Whisky und die Streitgespräche.
Salvador und seine beiden Bräute verbrachten die Hochzeitsnacht wie gewöhnlich in der Seetang-Fabrik, doch die Schwestern hatten einen weiteren Raum der Büro-Etage eingerichtet und das Bett – zwei Matratzen mit Bettzeug – in ihre von Kerzen beleuchtete Hochzeitssuite getragen. In jener Nacht lief eine Ratte über das Bett, erschreckte die beiden Schwestern zutiefst und verdarb allen Beteiligten gründlich die Stimmung, und so baute Salvador am nächsten Tag aus verschiedenen Stricken, stabilen Holzlatten und einem
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