Die Auserwählte
und – «
»Ein was?«
»Ein Apostat; jemand, der seinem Glauben abtrünnig geworden ist.«
»Oh.«
»Ja, leider, leider. Offenkundig verdient er sich seinen Lebensunterhalt damit, in den Teichen amerikanischer Golfplätze nach Golfbällen zu tauchen, und hat einen neuen Namen angenommen.«
»Kann ich ihm nicht verübeln. Ich meine, Hymen!«
»Es ist ein Männername, mußt du wissen«, erklärte ich. »Hymen war ein griechischer Gott, der Sohn des Apollo.«
»Irre«, sagte Roadkill voller Bewunderung. »Du kennst dich echt gut aus mit solchen Sachen, was?«
Ich schmunzelte. »Nun, man könnte sagen, daß es mein Beruf ist.« (Zeb schnaubte verächtlich, dann warf er mir einen ängstlichen Blick zu, aber ich lächelte nur.)
»Was genau bist du eigentlich?« fragte Roadkill.
»Ich bin die Auserwählte Gottes«, erklärte ich ihr. »Die dritte Generation unserer Familie, die am 29. Februar geboren wurde.«
»Irre.«
»In meinem Fall am 29. Februar neunzehnhundertsechsundsiebzig. Wenn du mich nach meinem Alter fragen würdest, müßte ich offiziell sagen, daß ich vierdreiviertel bin.«
»Scheiße.« Roadkill lachte.
»Natürlich nicht vierdreiviertel Jahre; vierdreiviertel Quadquennien. Ich bin neunzehn Jahre alt.«
»Hmm.« Roadkill schaute nachdenklich drein. »Und unter was für ’nem Zeichen bist du geboren?«
»Sternzeichen, meinst du? Es ist unser Glaube, daß der oder die Auserwählte kein Sternzeichen hat. Das ist ein Aspekt unserer heiligen Sonderstellung.«
»Total abgefahren.« Sie schüttelte den Kopf. »Mann, du mußt ja ’ne irre Geburtstagsparty haben, wenn die nur alle vier Jahre abgeht.«
»Wir versuchen, ein ganz besonderes Fest daraus zu machen«, bestätigte ich.
»Erzähl Roadkill vom Fest, Is«, schlug Zeb vor – der erste richtige und vollständige Satz, den ich ihn seit meiner Ankunft hatte sprechen hören.
»Willst du damit sagen, du hättest es noch nicht getan, Bruder?« fragte ich.
»Er hat mir gar nichts über eure Sekte erzählt«, sagte Roadkill und versetzte Zeb mit ihrer freien Hand einen Klaps auf den Unterarm.
»Nun, Scheiße. Du verstehst schon. Is’ ’ne komplizierte Kiste«, erwiderte Zeb ausweichend. Um ehrlich zu sein, war ich froh, daß er es nicht getan hatte. Wenngleich es in der Natur der Dinge liegt, daß man ein großes Fest nun einmal nicht wirklich geheimhalten kann, war es Salvador doch lieber, wenn wir – um nicht noch einmal die Sensationsgier der Presse und der Öffentlichkeit zu wecken – die Einzelheiten des unsrigen nicht allzu freimütig mitteilten. Ich kam jedoch zu dem Schluß, daß es angebracht sei, Roadkill davon zu erzählen.
»Es findet Ende Mai in jedem Jahr vor einem Schaltjahr statt«, erklärte ich ihr. »Wir bitten jene, die daran teilzunehmen wünschen, den Akt der Liebe um dieses Datum herum ohne Verhütungsmittel und so oft wie möglich auszuführen, um die Chancen zu erhöhen, daß ein weiterer Auserwählter oder eine weitere Auserwählte geboren wird.«
»Irre«, sagte Roadkill nach kurzem Überlegen. »Eine Orgie?«
»Nun, das ist ein recht vorurteilsbehafteter Ausdruck, nicht wahr?« erwiderte ich. »Nein, darunter versteht man ausschließlich Gruppensex, glaube ich, wohingegen der Sinn dieses Fests ist, alle Formen potentiell der Fortpflanzung dienender Aktivitäten zu fördern. Wirklich, es ist schlicht und einfach ein großes Fest; die öffentliche Seite würde nicht einmal die prüdeste Seele in Verlegenheit bringen. Was anschließend hinter verschlossenen Türen geschieht, liegt im Ermessen der beteiligten Personen.«
»Ach ja?« bemerkte Roadkill.
»Nun, warum kommst du nicht einmal vorbei und besuchst uns?« schlug ich vor. »Du und Zeb wäret natürlich jederzeit willkommen, aber besonders, um am Fest teilzunehmen«, erklärte ich ihr.
Roadkill warf Zeb, der stirnrunzelnd auf den Bürgersteig starrte, einen Blick zu. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Er hat noch nichts davon gesagt.«
Zeb sah mich an, und ich bedachte ihn mit einem strengen Blick.
»Nun, ihr solltet kommen«, erklärte ich Roadkill. »Nicht unbedingt, um an der auf die Fortpflanzung ausgerichteten Seite des Fests teilzunehmen, sondern einfach nur, um euch mit uns zu amüsieren; es gibt Musik und Tanz und Essen, und die Kinder führen kleine Theaterstücke auf… Es ist eine Zeit des Feierns, der Freude«, sagte ich. Ich lachte. »Glaub mir, es besteht absolut kein Zwang, ohne Unterlaß dem Sex zu frönen, wenn ihr nicht
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