Die Auserwählte
aufrichtete, knirschte etwas unter seinem Fuß. Er schaute nach unten und schob etwas mit der Kante seines Schuhs zur Seite. Ich sah die Überreste des winzigen Zhlonjiz-Gefäßes.
»Mein Gott! Was haben Sie getan!« schrie ich.
»Ganz ruhig«, sagte jemand.
»Frevel! Ketzerei! Entweihung! Möge Gott eure unerretteten Seelen gnädig sein, ihr erbärmlichen Schufte!«
»Das hier könnte auch was sein«, sagte der Frevler und rieb die Asche zwischen seinen Fingern.
»Hört ihr mir denn gar nicht zu?« brüllte ich. »Ich bin die Auserwählte Gottes, ihr Affen!«
»Steckt sie in die grüne Minna«, befahl der Sergeant und deutete hinter sich. »Klingt so, als könnte sie irgendwo ausgebrochen sein.«
»Was? Wie können Sie es wagen!«
»Und geben Sie das Zeug hier zur Untersuchung«, fuhr der Sergeant fort, während er die Phiole mit der Herdasche antippte und noch einmal mit dem Fuß den schlaffen Seesack umdrehte, bevor er wegging.
»Lassen Sie mich los! Ich bin eine Vertreterin der Wahren Kirche! Ich bin die Auserwählte Gottes! Ich befinde mich auf einer heiligen Mission! Ihr Heiden! Ich schwöre bei Gott, ihr werdet euch für diese Beleidigung alle vor einem höheren Gericht verantworten müssen, als ihr es je zu Gesicht bekommen habt, ihr Rüpel! Laßt mich los!«
Ich hätte mir den Atem sparen können. Noch immer unter wütendem Protest meinerseits wurde ich grob an zahlreichen anderen Fahrzeugen, Grüppchen von Leuten, gleißenden Scheinwerfern und blinkenden Blaulichtern vorbeigeführt und in einen Polizeitransporter geschubst, der ein Stück weiter die Straße hinauf stand.
Im Polizeitransporter wurde ich mit Handschellen an einen Sitz gekettet, und man befahl mir, den Mund zu halten. Ein stämmiger Polizist in Overall und Sturzhelm saß am anderen Ende des Fahrgastraums und ließ pfeifend einen Schlagstock in seinen Händen kreiseln. Die einzigen anderen Leute im Transporter waren zwei verschüchtert aussehende Leute, die mich nervös anlächelten und sich dann wieder ganz darauf konzentrierten, einander festzuhalten.
Der Transporter roch nach Desinfektionsmitteln. Ich merkte, daß ich unwillkürlich flach und schnell atmete. Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen.
Ich bewegte vorsichtig meine Handgelenke in ihren Fesseln und blitzte den Polizisten wütend an, dann schloß ich die Augen und ordnete meine Gliedmaßen so bequem wie möglich an. Ich versuchte, tief durchzuatmen, und hätte vielleicht auch Erfolg gehabt, hätten wir nicht kurz darauf Gesellschaft von einigen lautstark protestierenden Jugendlichen erhalten, die von einer Traube mit Overalls und Sturzhelmen bekleideter Polizisten in den Transporter gepfercht wurden.
Kurz darauf wurden wir mit hohem Tempo davongefahren.
*
Die Wahre Kirche von Luskentyre erlebte 1954 so etwas wie ein Schisma – wenngleich ein friedliches –, als Mrs. Woodbean, die unserem Glauben drei Jahre zuvor beigetreten war, uns das Anwesen in High Easter Offerance auf den Marschen des Forth als Schenkung überschrieb. Mrs. W war vielleicht die zehnte oder elfte Vollkonvertitin, die der mittlerweile beständig wachsenden Gemeinde beigetreten war, angelockt von Großvaters heiligem Ruf und seinem Desinteresse daran, selbst seinen reichsten Anhängern Geld abzunehmen (ein Aspekt seines Ruhms, von dem er sehr früh erkannt hatte, daß er die Menschen nur noch großzügiger machte; ein weiteres Beispiel für die Widersprüchlichkeit des Lebens).
Leider war es eine Tragödie, die Mrs. W zu ihrer Handlung anspornte. Die Woodbeans hatten einen Sohn namens David, ihr einziges Kind. Mrs. W war nach seiner Geburt gesagt worden, daß sie kein weiteres Kind mehr austragen könne, und so war ihnen der Junge um so teurer und wurde nach Kräften verwöhnt und verhätschelt. 1954, als er sieben Jahre alt war, lief er in einem Geschäft in Stirling durch eine Glastür. Er wurde nicht lebensgefährlich verletzt, doch er verlor viel Blut, und es wurde ein Krankenwagen gerufen, um ihn ins Krankenhaus zu bringen; der Krankenwagen hatte unterwegs einen Unfall, und der Junge wurde getötet. Mrs. Woodbean nahm dies als ein Zeichen, daß die moderne Welt zu technikübersättigt und überheblich für ihr eigenes als auch das Wohl der Woodbeanschen Familie sei, und beschloß, dem größten Teil ihrer irdischen Güter abzuschwören und ihr Leben dem Glauben zu widmen (und, wie man hört, dem Streben, um jeden Preis ein zweites Kind zu bekommen, ein Wunsch, der Jahre später erfüllt
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