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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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Rechtssystem, das die Arbeit von Amnesty International erschwerte. In diesen Gegenden der Welt war es ganz einfach unmöglich, keine Fehler zu machen. Und durch Fehler machte man sich Feinde.
    Besonders ein Vorfall hatte eine bleibende Erinnerung hinterlassen. Gemeinsam mit ein paar anderen Amnesty-Chefs war Amundsen vor ein paar Jahren nach Sierra Leone gereist. Ihr Ziel war es gewesen, ein Krisencenter für Kindersoldaten aufzubauen. Amundsen war bis in die Todeszellen vorgedrungen und hatte mit zwei Kindern gesprochen. Sie waren für grausame Massaker in ihrem Heimatort verurteilt worden. Einer der Jungen hatte mit zwölf Jahren seinen erst zehnjährigen Bruder erschossen. Die Familie verlangte jetzt seine Hinrichtung. Amundsen hatte nie zuvor einen Menschen getroffen, der so einsam war. Das Land, das Militär, das ihn gekidnappt hatte, die Familie, die sozialen Behörden – wenn man die denn so nennen konnte –, alle hatten sich von dem Jungen abgewendet und ihn dem Tod überlassen. Amnesty hatte mehr als einhunderttausend Unterschriften gesammelt, die Amundsen persönlich dem Präsidenten des Höchsten Gerichts übergeben hatte. Ohne Erfolg, denn das Verfahren war eine Farce, der Gerichtssaal ein verkommener Ballsaal eines längst verlassenen Hotels. Wo der rabenschwarze Richter die lächerliche, weiße Perücke aufgetrieben hatte, wussten nur die Götter. Doch auch die hatten Westafrika seit langem verlassen. Geblieben waren nur Amnesty, das Rote Kreuz und Ärzte ohne Grenzen, sie allein sollten in dieser Hölle auf Erden aufräumen, doch was immer sie taten, es war immer nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
    Der andere Junge hatte seine Familie noch hinter sich. Er war mit acht Jahren gekidnappt worden. Als Amundsen ihn kennenlernte, war er zehn. Der Junge war im Lauf von zwei Monaten zu einer Tötungsmaschine gedrillt worden. Geübt hatten sie an Kindern, an Gleichaltrigen, die ebenfalls gekidnappt worden waren. Sie hatten keine Wahl gehabt, entweder wurde man von dem erwachsenen Sergeant erschossen, oder man drückte selbst auf den Abzug. Mike, wie der Junge genannt wurde, hatte dabei schnell gelernt, welchen Effekt Drogen hatten und wie wichtig es war, seine Sinne zu benebeln. Ohne diese Drogen wäre er wahnsinnig geworden und hätte Selbstmord begangen. Amundsen konnte die erste Begegnung mit diesem Jungen nicht vergessen. Obwohl er schon mit dem Schlimmsten gerechnet hatte, konnte er das, was er dann erlebte, kaum in Worte fassen. Er war einem Jungen begegnet, der zum Drogenabhängigen geworden war, um die Hölle zu überleben. Ein Kind, das schwitzend und zitternd in seiner Zelle saß und an nichts anderes dachte als an den nächsten Schuss. Ein anderes Thema gab es für ihn nicht. Amundsen hatte Kontakt zu der Familie des Jungen aufgenommen und bei ihr vielleicht zu große Hoffnungen geweckt.
    Beide Jungen wurden in einem verdreckten Gefängnishof erschossen. Natürlich. Alle Geschichten aus Sierra Leone enden mit dem Tod.
    Die Mutter hatte Amundsen Vorwürfe gemacht. Er habe seinen Job nicht gut genug gemacht und solle nach Hause fahren. Die Worte, die sie ihm nachgeschrien hatte, gingen ihm nicht aus dem Kopf:
    »Mein Sohn bezahlt mit seinem Leben deinen Lohn.«
    Amundsen dachte oft an ihre Worte. Sie hatten Eindruck auf ihn gemacht. Eine ungerechte Verkettung, versuchte er sich zu sagen, schließlich hatte er sich mit all seiner Kraft für die Kinder eingesetzt. Es war doch seine Aufgabe, Hoffnung zu wecken. Aber die Mutter hatte das nicht verstanden, und ihre Worte suchten ihn immer wieder heim.
    Mein Sohn bezahlt mit seinem Leben deinen Lohn.

18.
    18.
    Innenstadt, Kopenhagen
    Niels holte wieder seine Liste heraus. Severin Rosenberg , stand dort. Der Vorletzte. Nach ihm fehlte nur noch Gustav Lund, der Joker seiner Liste, der Mathematiker, der den Nobelpreis für Physik erhalten hatte. Es gefiel Niels, dass Lund ein dark horse war und kein wohlmeinender Medienliebling. Außerdem bestätigte ihn das in seinem Gefühl, dass seine Liste wirklich versuchte, die guten Menschen zu finden: Menschen, für die es andere Arten zu helfen gab als nur die Teilnahme an Klimademonstrationen oder Fackelzügen über den Rathausplatz.
    Niels hatte nicht viel Zeit für detaillierte Nachforschungen gehabt. Er wusste vermutlich nicht mehr als alle anderen, die in den letzten Jahren regelmäßig Zeitung gelesen hatten, nämlich dass Severin Rosenberg in mehreren Fällen Asylanten aufgenommen hatte, die abgeschoben

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