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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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zu, ich hab bloß nach einem Ort gesucht, an dem ich mir einen Schuss setzen konnte.«
    Niels sah auf seine Uhr. Er war spät dran und hatte keine Zeit, den Vorfällen auf den Grund zu gehen. Nicht, wenn er die Liste bis sechs Uhr abgearbeitet haben wollte. Und das wollte er. Der Kerl gab keine Ruhe. »Wo sollen wir denn hingehen? Was? He? Wo, verdammt, können wir uns denn noch in Ruhe einen Schuss setzen?«
    Die Handschellen legten sich mit einem harmlosen Klicken um die dürren Handgelenke des Mannes. Niels fiel seine Tätowierung auf: eine rote Schlange und ein lila Drache, die um ein paar Zeichen platziert waren, die Niels nicht deuten konnte. Aber die Tätowierung war relativ frisch; mit leuchtenden Farben und scharfen Rändern. Das war keine unautorisierte Gefängnistätowierung, sondern professionelles Handwerk. Ein kleines Kunstwerk.
    Das Kellerfenster war tatsächlich abgeschraubt, daneben lag eine gebrauchte Spritze. Niels warf die Spritze in den Mülleimer. Das Blut der anderen war wirklich nicht sein Ding. Zwischen zwei Pflastersteinen fand er eine lose Schraube. Er hob sie auf und sah sich die Scharniere des Fensters an. Sie passte. Der junge Polizist stand hinter ihm.
    »Haben Sie bei ihm eine Leibesvisitation gemacht?«
    »Ja.«
    »Haben Sie einen Schraubenzieher gefunden?«
    »Nein.«
    Niels zeigte ihm die Schraube. »Der hat das Fenster nicht rausgeschraubt. Dafür reicht seine Kraft gar nicht.«
    Der Beamte zuckte mit den Schultern. Gleichgültig fragte er: »Wenn das alles ist, nehmen wir ihn jetzt mit auf die Wache.«
    Niels hörte nicht zu. Er dachte an die Tätowierung. Warum sollte ein Junkie zehntausend Kronen für eine neue Tätowierung ausgeben, wenn er es kaum schaffte, die tausend Kronen aufzutreiben, die er jeden Tag für seinen Stoff brauchte?
    ***
    Der Keller unter der Heiliggeistkirche, Kopenhagen
    Rosenberg sah genauso aus, wie Niels ihn aus dem Fernsehen kannte. Ein großer, korpulenter Mann mit schütterem Haar und einer leicht geduckten Körperhaltung. Sein Gesicht war rund wie die lächelnde Sonne einer Kinderzeichnung. Aber hinter den dicken Brillengläsern, weit hinten in den tiefliegenden Augen, saß der Ernst.
    »Das kommt ein paarmal im Jahr vor.«
    Sie standen im Keller unter dem Kirchenbüro. Der Raum war weitestgehend leer. Ein paar Stühle, einige wenige verstaubte Pappkartons und ein Regal mit einem Stapel Broschüren. Sonst nichts.
    »Das ist ganz typisch für Drogenabhängige oder für arme, obdachlose Seelen. Manchmal kommen sie auf die fixe Idee, die Kirchenkasse könne vor Bargeld nur so überquellen. Aber das war jetzt wirklich frech. In der Regel geschieht so etwas nachts. Am helllichten Tage ist das noch nie passiert.«
    »Und Sie haben nichts Verdächtiges bemerkt? Vielleicht jemanden, der um das Haus herumgeschlichen ist?«
    »Nein, ich war in meinem Büro. Sie wissen schon, ich habe Hassmails beantwortet und bin das Referat für die nächste Gemeinderatssitzung noch einmal durchgegangen. Die Details erspare ich Ihnen aber.«
    Niels wich dem Blick des Pastors nicht aus. Er lächelte. Die Menschen erzählten der Polizei immer mehr, als sie eigentlich gefragt wurden.
    »Fehlt etwas?«
    Rosenberg warf resigniert einen Blick auf die irdischen Güter der Kirche: Klappstühle, Pappkartons; Gegenstände, die irgendwann weggeworfen wurden.
    Niels sah sich um. »Was ist denn da hinter der Tür?«
    Er gab sich nicht die Zeit, auf eine Antwort zu warten, sondern trat einen Schritt vor und öffnete die Tür. Ein kleiner, dunkler Raum kam zum Vorschein, der erst nach langem Flackern der Neonröhren in kaltem Licht badete. Weitere Tische und Klappstühle, hinten in der Ecke lehnte ein Stapel Matratzen.
    »Haben die hier gewohnt?« Niels drehte sich um.
    Rosenberg kam näher.
    »Wollen Sie mich jetzt dafür festnehmen?«
    In seinem Blick lauerte so etwas wie Kritik an der Polizei. Rosenberg nutzte die feuchte Kellerwand, indem er Schwarz-Weiß-Fotografien der Flüchtlinge während ihrer Zeit in der Kirche dort aufhängte. Ein Zeugnis. Niels betrachtete ihre Gesichter: Angst. Und Hoffnung. Die Hoffnung, die Rosenberg ihnen gegeben hatte.
    »Wie viele waren es?«
    »Die größte Gruppe zählte zwölf Personen. Nicht gerade luxuriös, aber sie haben sich nie beklagt.«
    »Palästinenser?«
    »Und Flüchtlinge aus Somalia, dem Jemen, Sudan und ein Albaner. Wenn sie denn die Wahrheit gesagt haben. Einige von ihnen waren nicht gerade mitteilsam, was dieses Thema anging. Aber

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