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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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Konsequenzen der Auslieferung prüfen zu lassen. Man hätte sich über die Zustände in russischen Straflagern, über die Grundsätze russischer Rechtspflege etc. informieren können. Frankreich ist eine Demokratie, man kann in alles Einblick gewinnen, auch in den Justizapparat. Die Sowjetunion dagegen war und ist eine kommunistische Diktatur. Man muss sich darüber klar werden, was man Menschen antut. Das ist ein einfacher, humanitärer Grundsatz.
    – Warum nur die Sowjetunion? Warum sollte man nicht auch eine Kommission einsetzen, um die Verhältnisse in Frankreich durchleuchten zu lassen? Oder die in Norwegen? Oder die in England?
    – Von mir aus gern, schickt überall Kommissionen hin. Wichtig ist nur, dass wir erfahren, was mit den Internierten geschieht, die sich in unserer Obhut befinden.
    – Du meinst also, dass wir Schweden, die wir die Deutschen mit Erzlieferungen und einer grundsätzlichen Gefügigkeit unterstützt haben, dass wir, die wir ihnen bis 1943 in jeder Hinsicht nachgegeben haben, kleine Untersuchungskommissionen hätten aussenden sollen, um überall in Europa feststellen zu lassen, ob die Alliierten sich einer Barbarei schuldig gemacht haben? Und das, nachdem die Siegermächte Millionen Menschen geopfert haben, um uns vor den Konzentrationslagern zu bewahren? Mir scheint, du vergisst die historische Perspektive.
    – Warum, zum Teufel, kannst du nicht nach einfachen humanitären Prinzipien denken? Warum musst du – nur weil du mit der Linken sympathisierst – eine absolut unmögliche Sache verteidigen?
    – Ich verteidige gar nichts. Ich versuche nur, in allem exakt zu sein.
    – Im übrigen – wie stand es eigentlich mit dem Asylrecht?
    – Das war damals außer Kraft gesetzt.
    – Außer Kraft gesetzt?
    – Die Lage nach dem Krieg war eine Ausnahmesituation. Das Asylrecht war nicht anwendbar in einer Situation, in der es Millionen Kriegsgefangene und Millionen Soldaten gab, die …
    – Hör mal, jetzt bringst du mich aber wirklich auf die Palme …
    – Einen Augenblick, hör mir mal zu …

8
    D ie Zeit in den Krankenhäusern ging ihrem Ende entgegen, die Internierten beendeten nach und nach ihren Hungerstreik und wurden wieder kräftiger. Man brachte sie in die Lager zurück.
    Sie kamen nach Rinkaby und nach Gälltofta, die meisten der Balten nach Gälltofta.
    Das Lager lag mitten auf der Ebene. Von Kristianstad aus fuhr man zwanzig Kilometer nach Süden, kam nach Rinkaby, bog dann nach links ab, fuhr am Flugplatz und an den Baracken und Stacheldrahtzäunen vorbei (dem Lager von Rinkaby), setzte den Weg noch einen weiteren Kilometer fort und war am Ziel. Das Lager Gälltofta war eine Art Zwillingsanlage des Lagers von Rinkaby, aber kleiner, leichter zu bewachen und – trostloser.
    Die Gemeinde Gälltofta war nur ein kleines Dorf, eine Zusammenballung von Häusern an einem Ende des Flugplatzes. Die Baracken lagen am Rand des Dorfes; von dort hatte man freien Blick über die Ebene. Wenn Schnee fiel, war die Ebene ein weißer Ozean; so weit man sehen konnte, gab es keinen Wald, keine menschliche Behausung: im Norden erstreckte sich die nordost-skånische Ebene – wie es schien – in alle Unendlichkeit, im Süden waren die Häuser des Dorfes durch Tannen und Knicks vor Einsicht geschützt, und im Südwesten setzte sich die Ebene fort, nur am Horizont war ein dünner Waldrand zu erkennen. Wenn Schnee fiel, wurde alles weiß, aber in jenem Winter blieb der Schnee nie lange liegen, es regnete bald wieder, und der Schnee schmolz. Es fiel noch mehr Regen, die Ebene wurde zu einem schlammigen Acker mit allmählich wegtauenden weißen Rändern unter dem gleichmäßig grauen schwedischen Himmel, der sich über Häusern, Baracken und Stacheldrahtzäunen wölbte. Die Baracken, in einem Rechteck angeordnet, lagen dicht nebeneinander. Das Areal war 120 Schritt lang und 40 Schritt breit. Nach und nach, als es dauernd geregnet hatte, wurde der freie Platz zwischen den Baracken zu einem schlammigen Pfützenmeer. Vor der Offiziersbaracke, in der sich manchmal auch das Wachpersonal aufhielt, war ein kleines Geviert mit Kopfsteinen belegt; dorthin gingen sie oft, um den Schmutz von ihren Schuhen abzuklopfen, und nach kurzer Zeit sah dieses kleine gepflasterte Stück genauso aus wie der übrige Platz. Das ganze Lager schien eng zusammengedrückt zu sein, die Internierten hatten keinen Auslauf, und sie klagten auch oft darüber, dass es zuwenig Waschbecken und Toiletten gebe. Im Lauf der Zeit hatten

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