Die Ausgesetzten
»Dieser Mann hat dir erzählt, dass du die Uhr um ein Jahr zurückstellen kannst, stimmt’s? Also hast du geglaubt, dass du den
Autounfall deiner Eltern verhindern kannst. Du hast gedacht, du könntest ihnen das Leben retten!«
Andrea sah zu Boden.
»Er hat gesagt, ich müsste nur den Definator umprogrammieren«, murmelte sie.
Jonas spürte, wie ihn erneut die Wut übermannte.
»War dir denn nicht klar, dass der Mann lügt?«, knurrte er. »So funktioniert die Zeit nicht. Man kann nicht in eine Zeitspanne
zurückkehren, die man schon einmal durchlebt hat. Das weißt du doch! Hast du denn noch nie vom ›Paradox der Dopplungen‹ gehört?
Oder darüber nachgedacht, was es bedeutet, dass wir in Beschädigter Zeit gelebt haben, von der Katherine vorhin geredet hat?«
Dann fiel ihm ein, dass Andrea zu weit entfernt gewesen war, um zu hören, wie er mit Katherine über Beschädigte Zeit gesprochen
hatte. Er beugte sich vor und schrie sie fast an. »Dreizehn Jahre lang könnte kein Zeitreisender hereinkommen! Praktisch unser
ganzes Leben lang!«
Andrea zuckte zurück, als habe er sie geschlagen.
»Das hat mir keiner gesagt«, flüsterte sie.
Zu spät erkannte Jonas, dass sie recht haben könnte. Wann sollte sie einen Crashkurs über die Grundregeln des Zeitreisens
erhalten haben? Als sie in der Höhle gefangen gewesen waren und sämtliche Erwachsenen um sie gekämpft hatten? An diesem Tag
war alles ein einziges Chaos gewesen. Niemand hatte ihnen etwas deutlich erklärt.
»Jonas, das meiste davon haben wir von Angela erfahren«, sagte Katherine. Angela war die einzige Erwachsene aus dem einundzwanzigsten
Jahrhundert, die über Zeitreisen Bescheid wusste. Sie hatte große Risiken auf sich genommen, um Jonas und den anderen Kindern
zu helfen. »Und zwar als wir in Gruppen aufgeteilt waren. Andrea war nicht in unserer Gruppe.«
Jonas seufzte und seine Wut flaute ab. Er wäre lieber wütend geblieben – mit Wut ließ sich leichter umgehen.
»Also, es funktioniert folgendermaßen«, begann Katherine Andrea zu erklären. »Als Gary und Hodge dich und die anderen Kinder
aus der Geschichte entführt haben und HK ihnen auf den Fersen war, sind sie, wie du weißt, in unserer Zeit notgelandet. Also …«, sie warf ihrem Bruder einen Blick zu, »… jedenfalls in
meiner
Zeit. Aus welchem Zeitalter Jonas wirklich stammt, wissen wir noch nicht, und er traut sich nicht zu fragen.«
»Das tue ich wohl«, widersprach Jonas, auch wenn er gleichzeitig dachte: Woher weiß sie das?
Katherine achtete gar nicht auf ihn und fuhr fort.
»Ihr wart alle Babys. Diejenigen, die ursprünglich keine Babys mehr waren, wurden durch Zeitreisen-Zaubertricks ›entaltert‹.
Versuch gar nicht erst, das verstehen zu wollen; ich glaube nicht, dass das irgendjemand wirklich kann. Jedenfalls hätten
HK oder Gary oder Hodge oder wer auch immer auf der Stelle versucht euch aus unserer Zeit zurückzuholen, wenn es ihnen möglich
gewesen wäre.«
»Aber der Zeitunfall hat alles durcheinandergebracht und die nächsten dreizehn Jahre konnten überhaupt keine Zeitreisenden
rein- oder rausgelangen«, fügte Jonas hinzu, weil er Katherine nicht die Gelegenheit geben wollte, es so aussehen zu lassen,
als sei sie die Einzige, die Bescheid wusste. »Deshalb konnten wir alle adoptiert werden und dreizehn Jahre lang ein normales
Leben führen. Es ist also so, dass … deine Eltern … in Beschädigter Zeit ums Leben kamen, daher können sieauch von Zeitreisenden nicht gerettet werden. Weder von dir … noch von irgendjemand sonst.«
Jonas wurde immer langsamer und leiser. Hier ging es nicht mehr darum, sich gegen Katherine zu behaupten. Es war nicht wie
bei der Suche nach der richtigen Antwort im Unterricht, bei der man dachte: He! Ich habe etwas gewusst, was die anderen nicht
wussten! Gut gemacht! Das hier bedeutete, einem Mädchen zu sagen, dass sie ihre Eltern nie wiedersehen würde.
Andrea biss sich auf die Lippe. Sie hatte die Fersen in den Dreck gestemmt und presste den Rücken an den umgestürzten Zaun.
»Aber …«, begann sie. Dann ließ sie die Schultern hängen. »Ich weiß. Du hast recht. Ich habe gesehen, wie sich HK, Gary und Hodge
aufgeführt haben. Wenn sie früher in der Lage gewesen wären, uns zu holen, hätten sie es getan.« Sie schwieg einen Moment
und sah dann zu Jonas auf. »Und ja, du hast recht, ich hätte wissen müssen, dass ich dem Mann nicht trauen darf. Ich
habe
es
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