Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)
während meine Brüder ein Kartenspiel holen, damit wir ein letztes Mal als Familie eine Partie spielen können. Obwohl ich das Gelächter und die Wärme am Tisch genieße, fühlt sich die Runde nicht vollständig an, solange Zeen, der noch nicht wieder zurückgekehrt ist, fehlt. Mehr als einmal ertappe ich mich dabei, wie ich die Vordertür im Auge behalte. Natürlich liebe ich alle meine Brüder, aber es ist Zeen, an den ich mich wende, wenn ich ein Problem habe, über das ich reden möchte. Zeen ist immer so geduldig und einfühlsam. Er stellt Fragen, und immer fühle ich mich nach unseren Gesprächen besser. Heute Abend habe ich ein echtes Problem, aber Zeen ist nicht hier.
Als das Spiel vorbei ist, erinnert mich unsere Mom leise daran, wie spät es schon ist und dass ich noch etwas zu tun habe. Ich entschuldige mich, nehme die Commonwealth-Tasche und schlüpfe in das Schlafzimmer, das ich mir mit meinen Brüdern teile.
Der Gedanke, dass ich diesen Raum vielleicht nie wiedersehen werde, lässt ihn mich mit anderen Augen betrachten. Ein Feuer brennt im Kamin, der in der hinteren Wand eingelassen ist. In der Mitte des Zimmers liegt ein abgetretener, quadratischer brauner Teppich. Zwei Etagenbetten stehen rechts und links davon. Nur das eine untere Bett ganz nah am Feuer, das meins ist, ist ordentlich gemacht, und die Tagesdecke darauf ist glattgestrichen. Als meine Brüder von der Schule abgingen, beschloss meine Mutter, dass sie nun alt genug seien, um ihre Betten selbst zu machen. Und die Jungs entschieden, dass sie alt genug seien, um sich nicht darum zu kümmern, ob sie in Betten mit ordentlich weggesteckten Laken schliefen oder nicht.
Wir haben jeder eine Holztruhe für unsere Alltagskleidung und für die Schuhe. Die Anziehsachen für besondere Anlässe hängen in dem großen Kleiderschrank, ebenfalls aus Holz, in der Ecke. Meine Mutter spricht häufig davon, wie wichtig der erste Eindruck sei. Unschlüssig kaue ich auf meiner Unterlippe herum und wäge meine einzelnen Kleidungsstücke gegeneinander ab. Es ist immer leichter, sich selbstbewusst zu fühlen, wenn man irgendetwas Besonderes trägt, aber in Gedanken höre ich wieder die Stimme meines Vaters. Ich stelle mir die einsame Straße in der Stadt vor, die er in seinen Träumen entlanggelaufen ist. Die beiden Kleider, die ich besitze, würden mir da nicht viel helfen. Und selbst wenn seine Träume nichts mit der Realität zu tun hatten, bin ich tief in meinem Herzen davon überzeugt, dass mir hübsche Bekleidung während der Prüfung nicht viel nützen würde.
Also lasse ich die Festtagsgarderobe links liegen und gehe zur Holztruhe, die ich benutze, seit ich ein kleines Kind gewesen bin. Ich hole zwei dicke, gut sitzende Hosen heraus, zwei derbe Hemden und meine bequemsten Stiefel. All diese Sachen haben früher meinen Brüdern gehört. Die Vorstellung, ein Stück von ihnen mitnehmen zu können, lindert ein wenig die Einsamkeit, die sich breitzumachen droht. Ich suche mein Nachtzeug und meine Unterwäsche heraus und verstaue alles sorgfältig in meiner Tasche. Es ist immer noch mehr als genug Platz für die zwei persönlichen Gegenstände, die mir erlaubt sind.
Ich setze mich auf meine Bettkante und lasse den Blick durch den Raum schweifen. Wenn mein Vater mir nicht von seinen Träumen erzählt hätte, dann hätte ich meine Flöte oder die silberne Halskette eingepackt, die mir meine Mutter zu meinem sechzehnten Geburtstag geschenkt hat. Stattdessen jedoch denke ich nun darüber nach, was sich als hilfreich erweisen könnte, falls ich für die Prüfung mehr als Bleistift und Papier benötigen würde.
Nach einigen Minuten rutsche ich vom Bett und krame ein kleines Taschenmesser aus meiner Truhe. Jeder meiner Brüder hat ein ähnliches Messer – ein Geschenk von unserem Dad; auch ein Schraubenzieher und noch einige andere Vorrichtungen sind daran befestigt. Dies wird einer meiner beiden Gegenstände sein. Nun muss ich mich noch für einen weiteren entscheiden. Mir fällt nur ein einziger ein, aber der gehört mir nicht. Und Zeen ist nicht da, damit ich ihn um Erlaubnis bitten kann, ihn mitnehmen zu dürfen.
Im letzten Jahr fing Dad an, Zeen an seinen eigenen Projekten arbeiten zu lassen. Einige davon führten ihn über die Grenzen der Kolonie hinaus. Diese Grenzen sind weniger dazu gedacht, Menschen oder Tiere fernzuhalten, sondern sie sollen die Bewohner der Five-Lakes-Kolonie daran erinnern, dass das Land jenseits davon eine potenzielle Bedrohung
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