Die Außenseiter
die Richtung weiterginge, aus der die Adlersonde gekommen war, müssten sie vorerst eigentlich keiner weiteren Sonde mehr begegnen.
Ohne genau zu wissen warum, hörte Cheelo sich selbst sagen: »Einen Tag?«
Der Thranx nickte.
Cheelo fand es längst nicht mehr so befremdlich wie anfangs, dass der Außerirdische diese vertraute Geste machte.
»Einen Tag. Dann kann ich meine Notizen und Beobachtungen hinreichend vervollständigen, ihnen den letzten Schliff geben und sie abrunden.«
»Ich verstehe zwar nicht, wovon zum Teufel du da redest, aber du solltest eins wissen: Ich schulde dir gar nichts.«
»Nein, das stimmt. Aber wir sind, in gewisser Weise, geistige Clanbrüder.«
Cheelo zog die Stirn kraus. »Wovon brabbelst du da?«
Der Tonfall des Thranx änderte sich nicht. »Wir sind beide Außenseiter, stehen am Rande der Gesellschaft. Und wir haben jemandem das Leben genommen. Ich bin auch für den Tod einer Person verantwortlich. Und das nur, weil ich bedeutende Poesie verfassen möchte.«
Jetzt war es heraus. Dieser Außerirdische, dieses übergroße Insekt von einer anderen Welt wollte etwas Bedeutendes tun - genau wie Cheelo Montoya.
Nein, dachte Cheelo zornig. Ich habe nichts, rein gar nichts mit dem da gemein! Nicht mit einem verdammten Krabbelvieh!
Cheelo schwieg. Was sollte er schon sagen? Er wusste nichts über die Gesellschaft der Thranx oder über ihre Wertvorstellungen, obwohl er eines auf jeden Fall zu wissen glaubte: Bestimmt war es bei jeder intelligenten Spezies verpönt, einen der eigenen Artgenossen zu töten. In diesem Punkt irrte er sich zwar, aber im Falle der Thranx hatte er Recht.
»Und wenn du nach Ablauf des Tages noch immer in irgendeiner Form dir nicht sicher bist, kannst du mich immer noch töten«, erklärte Desvendapur.
Cheelo fuhr zusammen und weitete die Augen ein wenig. »Wie kommst du darauf, dass ich dich vielleicht töten will?«
»Das wäre nur logisch.« Mit beiden Echthänden deutete der Thranx auf die Pistole des Menschen. »Ich habe beobachtet, dass du oft die Hände auf und ab und hin und her bewegst ... immer zu deiner verborgenen Waffe. Deine Gesten haben deine Stimmungswechsel verraten. Du denkst schon darüber nach, mich zu töten, seit wir uns begegnet sind. Du könntest es jederzeit tun.«
»Du bist dir ja ganz schön sicher, dass ich's nicht tue.«
»Nein, bin ich nicht.« Seine Antennen vollführten einen komplexen Bewegungsablauf. »Ich habe deine Pheromonabsonderung überwacht. Sie ist mal stärker, mal schwächer - je nachdem, in welcher Stimmung du bist. Ich weiß, wann du darüber nachdenkst, mich zu töten, und wann nicht.«
»Du liest meine Gedanken?« Cheelo starrte ihn festen Blickes an.
»Nein. Ich werte deinen Körpergeruch aus. Wie ich schon erwähnt habe, ist er sehr stark. Er hilft mir, dich zu durchschauen.« Er neigte den herzförmigen Kopf ein wenig. »Nur noch einen Tag.«
»Und dann darf ich dich töten? Du hast gerade selbst gesagt, dass das nur logisch wäre.«
Wieder nickte der Außerirdische. »Überaus logisch. Aber ich glaube nicht, dass du es tun wirst. Wenn ich das glauben würde, hätte ich mich längst nachts fortgeschlichen.«
Cheelo fragte herausfordernd: »Wieso bist du so sehr davon überzeugt, dass ich dich nicht töte?«
»Weil du es bis jetzt noch nicht getan hast. Und weil sich ein außergewöhnliches Individuum von der großen Masse des Stocks dadurch abhebt, dass es das Unlogische, das Unerwartete tut. Manchmal sehen die anderen solche Individualität nicht gern. In den Gesellschaften unserer Völker steht man Bilderstürmern und Exzentrikern äußerst misstrauisch gegenüber.«
»Hm, mir gegenüber waren jedenfalls immer alle misstrauisch. Einen Tag?« Er dachte kurz nach. »Also schön. Morgen Nachmittag geht jeder seiner Wege.«
»Einverstanden.« Der Thranx gestikulierte mit seinem Sch'reiber und einer Fußhand. »Ich habe schon so viel Material, dass ich die nächsten Jahre mit Dichten verbringen kann. Ich muss die Aufzeichnungen nur in eine Form, in einen größeren Kontext bringen. Wenn du mir in der Zeit, die wir noch zusammen verbringen, einige Fragen beantworten würdest, werde ich mich morgen sehr zufrieden von dir trennen.«
»Ja, klar. Aber im Moment sollten wir uns darauf konzentrieren, von hier wegzukommen, in Ordnung?« Cheelo deutete stromaufwärts. »Wir entfernen uns noch ein Stück von dieser fliegenden Sonde, in Ordnung?«
Desvendapur lief neben dem Zweifüßer her und streckte ihm den
Weitere Kostenlose Bücher