Die Außenseiter
der Frau. »Los, los - auch den da!«
Die Frau bedeckte den letzten Ring, den sie trug, mit der Hand. Ihre Miene und ihr Tonfall waren flehend. »Bitte - das ist mein Ehering! Ich habe Ihnen alles andere gegeben!« Cheelo wusste, dass die Tropfen, die ihr nun über die Wangen rannen, Tränen waren, denn das Gesicht der Frau wurde nicht nur durch das Kraftfeld, sondern auch durch die breite Krempe ihres modischen, Wasser abweisenden Huts vor dem Regen geschützt.
Cheelo zögerte. Er hatte lange genug hier draußen auf der Straße gestanden und zwei Brieftaschen sowie etwas Schmuck erbeutet. Der gequälte Gesichtsausdruck der Frau wirkte echt. Er hatte schon oft gesehen, wie seine Opfer diesen Gesichtsausdruck imitierten, um wertvolle, aber unpersönliche Habseligkeiten zu schützen. Cheelo, der noch immer die gefühlskalte Miene aufgesetzt hatte, mit der er aus dem schmalen Weg getreten war, wandte sich halb von ihnen ab.
»Klar, warum nicht? Hören Sie, das hier tut mir Leid, aber ich habe ein großes Geschäft abzuschließen - die Chance meines Lebens - und mir fehlen nur noch ein paar Kredits, deshalb ...«
In diesem Moment sprang der Ehemann ihn an.
Das war ein dummer, ein närrischer Schachzug - genau jene Art von Verhalten, wie es Männer mittleren Alters an den Tag legen, die ernsthaft glauben, ein wenig regelmäßiger Sport und der lebenslange Konsum von Action-Holos seien die beste Vorbereitung, um kräftige Profidiebe übertölpeln zu können. Der Mann war ein gutes Stück größer als Cheelo, was ihm zusätzlichen Mut verlieh, und auch weit stärker, was ihn wiederum übermäßig selbstbewusst machte. In der Tat war er Cheelo im Kampf in jeder Hinsicht überlegen, ihm fehlte nur die entscheidende Emotion: Verzweiflung.
Als der Mann Cheelos zurückzuckenden Arm mit einem Handkantenschlag traf, löste sich ein Schuss aus der Waffe, ohne dass Cheelo bewusst den Abzug durchgedrückt hätte. Lautlos spie die kompakte Pistole einen blauen Blitz aus. Sogleich unterbrach der Energiestoß den Fluss der elektrischen Impulse, die die Millionen von Neuronen im Körper des Mannes durchliefen. Mit schockiertem Gesichtsausdruck sackte er auf dem Gehweg zusammen, kippte zur Seite und schlug zunächst mit der Schulter und dann mit dem Kopf auf den Pflastersteinen auf. Sein Schädel prallte einmal vom Boden ab und schlug erneut auf. Cheelo stand über ihm, die Pistole in der Hand, und war nicht minder entsetzt als die Frau, die sich sogleich neben ihren Idioten von Gatten kniete. Sie hatte die Augen weit aufgerissen.
Als der Schuss sich gelöst hatte, war die Mündung direkt auf den Brustkorb des Mannes gerichtet gewesen. Der Energiestoß hatte sein Herz kurzzeitig gelähmt. Das musste nicht zwangsläufig tödlich enden - doch war das Herz des Mannes nicht das gesündeste. Das Problem bestand weniger darin, dass es aussetzte, als vielmehr darin, dass es nicht wieder zu schlagen anfing. Cheelo hatte schon öfters Tote gesehen, doch war er bislang nicht die Ursache für deren Tod gewesen. Auf diese Weise mit dem Tod konfrontiert, begaffte Cheelo das starre Gesicht des Mannes, der rücklings auf den Pflastersteinen lag, während sein offener Mund sich mit Regen füllte.
Ohne den bewaffneten Räuber zu beachten, begann die Frau zu schreien. Cheelo hob die Pistole, dann senkte er sie wieder. Er hatte nicht auf den dummen, hochmütigen Bastard schießen wollen. Und erst recht hatte er ihn nicht töten wollen. Cheelo bezweifelte, dass dieses Eingeständnis für die Behörden eine Rolle spielen würde. Er drückte die Geldbörse unter dem Regenmantel dicht an sich, wandte sich um und rannte los, wobei er die Waffe wieder in die Innentasche steckte. Hinter ihm erstickte der sintflutartige Regen die Schreie der Frau. Für den Regen war Cheelo dankbarer denn je. Er würde zumindest eine Weile verhindern, dass der Ladenbesitzer das Jammern der Frau hörte.
Außer Atem sprang er auf das erstbeste öffentliche Verkehrsmittel. Umgeben von beschäftigten, gleichgültigen Männern und Frauen, schlug er den Kragen seines Regenmantels hoch und drückte ihn sich enger an Hals und Kopf, um so wenig wie möglich von seinem Gesicht zu zeigen. Was zum Teufel sollte er jetzt tun? Selbstverteidigung war eine schlechte Ausrede für einen bekannten Straßenräuber wie ihn. Letzten Endes würde man ihn zu einer selektiven Gedächtnislöschung verurteilen, deren Umfang von der Toleranz des zuständigen Gerichts abhinge. Die Wahrheitsmaschine
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