Die Außenseiter
können. Es lag ganz und gar nicht in seiner Natur, einfach aufzugeben und sich dem Schicksal zu fügen.
Was sollte er tun? Falls Des am Rand eines Sektors, zu dem er keinen Zutritt hatte, zufällig noch einmal einen Menschen sähe, könnte er die Verbote ignorieren und sich erdreisten, den Besucher anzusprechen. Das würde funktionieren - für ein oder zwei Minuten, bis der Sicherheitsdienst jeden weiteren Kontakt zu dem Zweifüßer verhinderte, indem er Des fortzerrte. Nein, das Risiko war zu hoch und die potenzielle Belohnung zu gering. Oder er könnte versuchen, einen Zweifüßer zu fangen und eine Weile bei sich zu behalten; doch wenn er auch nur in den Verdacht käme, innerhalb der Kolonie Gewalt angewandt zu haben, würde man ihn schneller vom Planeten befördern, als er dafür brauchte, seine spärlichen Habseligkeiten zu packen. Termilkulis, dem ein Fahrzeug zur Verfügung stand, könnte sich als sehr hilfreich erweisen - bis dieser herausfinden würde, was sein neuer Freund aus der Küche wirklich vorhatte. Dann würde er Des zweifellos sofort die Freundschaft kündigen und der Stock-Obrigkeit das exzentrische Verhalten des Nahrungszubereiters melden.
Nein, was immer ich tue, entschied Desvendapur, ich werde es allein tun müssen. Seine Handlungsmöglichkeiten waren überaus begrenzt. Zumindest diejenigen, die auf Vernunft beruhten. Gewiss, es stand ihm nach wie vor offen, etwas Unvernünftiges zu tun. Ein durchschnittlicher Thranx wäre gar nicht erst auf diesen Gedanken gekommen. Und wäre Desvendapur auch nur im Mindesten durchschnittlich gewesen, so hätte auch er nie darüber nachgedacht.
Die Lösung war so offensichtlich wie verrückt. Wenn er schon keine Menschen im Stock kennen lernen konnte, dann würde er eine Möglichkeit finden, ihnen außerhalb des Stocks zu begegnen.
11
Für Cheelo war es rasch zur Routine geworden, sich von dem schauerlichen Geschrei der Brüllaffen wecken zu lassen, die die Rückkehr der Sonne begrüßten. Mit einer dünnen Tropendecke zugedeckt, starrte er durch den strapazierfähigen, federleichten Stoff seines Zelts zum Himmel hinauf. So nah am Bauch der Welt ging die Sonne ebenso rasch auf wie unter. »Lang anhaltende Dämmerung« war ein Begriff, der in die gemäßigte Zone gehörte, aber nicht hierher in den Regenwald am Äquator.
Gähnend kratzte Cheelo sich an einem Insektenstich - da fuhr er hastig hoch, kreischte laut auf. Über seinen Bauch strömte ein rötlich brauner Fluss, von links nach rechts. Der Fluss bahnte sich seinen Weg durch eine winzige Öffnung in der linken Zeltseite in das Zelt hinein und verließ es auf der rechten durch eine ähnlich winzige Öffnung wieder. Der Fluss strömte über, um oder durch alles hindurch, was ihm im Weg war. Womöglich hätte er sich auch durch Cheelo gefressen, hätte dieser nicht unter einem strapazierfähigen, ungenießbaren Laken gelegen.
Er hatte sich schlafen gelegt, ganz offensichtlich ohne zuvor den elektronischen Insektenabweiser in seinem Rucksack zu aktivieren.
Ein Heer von Ameisen hatte sich durch sein Zelt gefressen, weil es ihren angestammten Weg blockierte. Da sie die schlafende Gestalt mühelos erklimmen konnten, hatten sie beschlossen, ihn nicht anzufressen, sondern als Brücke zu benutzen. Das war sein Glück gewesen, auch wenn er das erst im Nachhinein erkannte - so schnell war ihm nämlich nicht bewusst geworden, dass er nur knapp dem Tod entronnen war. Nun stand er schreiend im Zelt und versuchte, die Soldatenameise, die ihre Mandibeln tief in das Fleisch seines rechten Daumens gegraben hatte, zu treffen und zu zerquetschen. Hätte er mehr über Treiberameisen gewusst, er hätte sich gewiss umsichtiger verhalten.
Als die anderen Ameisen die Alarmpheromone ihres gerade eben zermalmten Artgenossen rochen, zweigte eine Ameisenkolonne aus dem lebenden braunen Fluss ab und griff Cheelo an. Cheelo schlug wild um sich, als sei sein Nervensystem gestört, hüpfte und stolperte aus dem Zelt unter den Bäumen ins Freie, rannte zum Ufer und sprang in den Fluss. Sogar unter Wasser hielten sich die Ameisen hartnäckig an ihm fest. Da die Trockenzeit noch nicht angebrochen war und die hiesigen Piranhas genug Beute im Fluss fanden, ignorierten sie sein gewaltsames Eindringen in ihre Welt. Der vier Meter lange schwarze Kaiman am gegenüberliegenden Ufer hingegen war dazu nicht bereit, sondern glitt lautlos ins Wasser. Sein Drachenschwanz zerteilte und wellte die spiegelnde Wasseroberfläche, während er
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