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Die Aussortierten (German Edition)

Die Aussortierten (German Edition)

Titel: Die Aussortierten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Brandes
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einer Hausbesichtigung ein. Da Bretendorp auch noch eine riesige Bibliothek hatte, die de Wall sich am liebsten Band für Band angeschaut hätte, gab Bretendorp der Haushälterin den Auftrag, Tee und Gebäck im Wohnzimmer bereitzustellen. Djallo konnte es nicht fassen. Sein eben noch linksradikaler Chef plauderte sichtlich begeistert mit Bretendorp, der genau wie er ein Thomas Mann und Fontane-Fan war. So kam es, dass Djallo und de Wall sich insgesamt zwei Stunden bei Bretendorp aufhielten und de Wall regelrecht aufgekratzt war, als sie zurück in die Inspektion fuhren. Djallo war sich sicher, dass Bretendorp bei nächster Gelegenheit höheren Orts seinen Chef in den allerhöchsten Tönen loben würde. Er war sich nicht klar, was er von diesem Erlebnis halten sollte, und vor allem von seinem Chef.

 
    10. Kapitel
     
    Eine aufschlussreiche Zugfahrt
     
    Am nächsten Samstag nahm de Wall um genau 9.30 Uhr in einem leeren Abteil der 2. Klasse eines IC-Zuges nach Hannover Platz. Er freute sich auf zwei abwechslungsreiche Tage und darauf, mal wieder eine schöne Zugfahrt zu machen. Mal sehen, dachte er, vielleicht würde er ja nette Menschen kennenlernen. Wobei er unter „netten Menschen“ eigentlich „Frauen“ verstand. Sein Ziel war Konstanz. Es war nun soweit: Judith Garlinghoff, seine ehemalige Geliebte aus Studententagen, die jetzt als verheiratete Frau, Mutter und in Ärztin in Konstanz lebte und arbeitete, feierte am heutigen Abend ihren 40. Geburtstag. Und er hatte ja versprochen, wenn irgend möglich zu kommen. Aber er fuhr nicht nur, weil er es versprochen hatte. Er freute sich darauf, Judith wiederzusehen. Er war gespannt, was ihm da für eine Frau entgegentreten würde. Für die Zugfahrt hatte er sich mit einigen seiner Fontaneromane bestückt, die er alle schon gelesen hatte: „Frau Jenny Treibel“, „Irrungen, Wirrungen“ und „Effie Briest“. Er hatte alles diese Romane schon mehrfach gelesen. Aber sie waren an diesem Tag die einzige Lektüre, auf die er eine gewisse Lust verspürte. Er hatte zwar auch einige neue, ungelesene Romane zu Hause liegen, aber nichts wonach ihm derzeit der Sinn stand. Nichts, was ihn wirklich gepackt hätte. Deswegen dachte er beim Packen seiner Reisetasche, dass er unbedingt wieder einmal nach neuem Lesestoff stöbern musste. Zur Abwechslung hatte er sich dann noch seine neueste politische Lektüre eingepackt, John Stuart Mills „Über die Freiheit“ und Bourdieus Schrift „Über das Fernsehen“. Und wie es sich für eine zünftige Zugfahrt gehörte, auch noch ein Fresspaket und eine Thermoskanne mit Tee. Trotzdem hatte er sich vorgenommen, mittags in den Speisewagen zu gehen. Das liebte er am Zugfahren besonders.
     
    Der Zug fuhr an und de Wall hatte es sich gerade gemütlich gemacht und war froh, das Abteil für sich allein zu haben, genoss es, einfach nur so vor sich hinzuglotzen, als die Abteiltür aufging. De Walls Gesicht nahm einen genervten Zug an, als er seinen Blick zur Tür wandte – und sofort entspann sich sein Gesicht wieder, ja er lächelte sogar über’s ganze Gesicht. Vor ihm stand eine ausgesprochen attraktive junge Frau und fragte höflich „Ist hier noch frei? Darf ich mich zu Ihnen setzen?“
     
    „Natürlich, kommen Sie rein! Warten Sie, ich helfe Ihnen mit dem Gepäck!“
     
    Als de Wall der jungen Frau das Gepäck abnahm und auf die Ablage hievte, nahm er ihren Körpergeruch wahr. Wobei das Wort „Geruch“ geradezu eine Beleidigung war für das, was da in die Schleimhäute seiner Nase eindrang. Es war ein wundervoller Duft. Wie überhaupt die ganze Frau ihm auf Anhieb gefiel. Er schätzte sie auf 25 Jahre. Sie hatte eine Stupsnase, volle Lippen, eine wunderschöne Augenpartie, schön geschwungene Augenbrauen, ein schlankes Gesicht und schulterlange, gewellte dunkle Haare. Ihre Haare hatte sie nach hinten zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihre Figur war ein Ausbund an Weiblichkeit. Sie war vollbusig, hatte kräftige, gut durchtrainierte Beine, und ein schönes weibliches Becken, das durch ihre schlanke Taille betont wurde. Kurz, sie war eine Frau, wie man sie sich nicht schöner und weiblicher hätte wünschen können. Komischerweise hatte de Wall sofort das Gefühl, diese Frau irgendwo schon einmal gesehen zu haben, obwohl er sich beim besten Willen nicht erinnern konnte. Er war nahezu unmöglich, dass er diese Frau übersehen hätte. Wäre ihm diese Frau schon einmal begegnet, er hätte sie unter Hunderten wiedererkannt, und wenn

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