Die Aussortierten (German Edition)
das Geringste daran lag, die Täter zu ermitteln. De Wall wollte deshalb unbedingt mit Tauber sprechen, aber dieser hatte sich schon am nächsten Tag nach diesem Sonntag krank gemeldet. Und das war offenbar nicht nur vorgeschoben, sondern eine ernste Grippe. Und de Wall bekam viel zu tun. Er musste jetzt anstatt Tauber dem PI-Leiter und der Presseabteilung Bericht erstatten und auch ab und zu Journalisten für Interviews zur Verfügung stehen. Als langsam aber sicher auch bundesweit erscheinende Medien auf den „Aufruhr in Oldenburg“, wie eine Zeitung titelte, aufmerksam wurde, wies der PI-Leiter auf Bitten von de Wall die Pressestelle an, die Fahnder fortan von der Presse abzuschirmen. De Wall informierte jeden Tag den Pressesprecher über den Sachstand, so dass dieser die Presse gut informieren konnte.
8. Kapitel
Über allen Gipfel ist Ruh
Montagmorgen. De Wall sitzt am Frühstückstisch und liest die Oldenburger Tageszeitung. Im Wirtschaftsteil wird über eine Tagung des „Innovativen Kreises Oldenburg“ berichtet. De Wall überfliegt den Bericht. „Wieder mal nichts als die üblichen Sprüche unserer selbsternannten Elite“, dachte er. Er blätterte um und schaute auf eine doppelseitige Anzeige des „Innovativen Kreises Oldenburg“. Im Anzeigentext war die vollständige Rede des Vorsitzenden, Dr. Bretendorp, abgedruckt. Der Titel der Rede: „Was Deutschland braucht. Anstöße zur Erneuerung unseres Landes.“ Dieses Mal machte de Wall sich die Mühe, den ganzen Text zu lesen. Quellenstudium lohnt sich immer, dachte er. Das war auch dieses Mal der Fall. Bretendorp eröffnete seinen Vortrag mit einem Zitat aus einem der berühmtesten deutschen Gedichte, „Wandrers Nachtlied“:
Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest Du,
Kaum einen Hauch....
De Wall sprühte vor Lachen fast den Schluck Tee, den er gerade genommen hatte, über den Tisch. Denn im weiteren Redetext wurde dieses berühmte Gedicht von Goethe nicht nur als ein Gedicht von Josef Freiherr von Eichendorff bezeichnet, sondern auch in Bezug gesetzt zur aktuellen Politik. Windstille und Ruhe als Metapher für eine träge Gesellschaft, die nicht bereit sei, sich dynamisch zu verändern.
Und so was bläst sich auf wie ein Ochsenfrosch und hält sich für die Elite. Wahrscheinlich kommt im weiteren Text auch noch etwas über die Bildungsmisere in Deutschland, regte de Wall sich auf. Seine Vermutung bestätigte sich beim weiteren Lesen. Na ja, dachte de Wall, immerhin hat er ganz praktisch gezeigt, dass wir nicht erst seit heute eine Bildungsmisere haben.
Im weiteren Text folgten dann die üblichen Klischees und Versatzstücke, die man in jeder Rede des rechtskonservativen Bürgertums zu hören bekam. „Es sind schmerzhafte Einschnitte notwendig.“ „Natürlich! Nur nicht bei Euch, nicht wahr?“ „Es darf keine Tabus geben.“ Und wieder de Wall: „Außer eins: Dass Eure Privilegien nicht angetastet werden, egal wie korrupt, kriminell und unfähig ihr auch immer seid.“ „Wir können uns unseren ausufernden Wohlfahrtsstaat nicht mehr leisten.“ Es sei denn, es geht um kriminelle Banker, die müssen selbstverständlich vom Staat versorgt werden, und das nicht zu knapp!“, empörte sich de Wall. „Leistungsgerechtigkeit statt Verteilungsgerechtigkeit.“ „Da wäre ich aber vorsichtig, Jungs! Wenn das durchgezogen wird, dann könnt ihr Euch schon mal den Hartz-4-Vordruck besorgen“, kommentierte de Wall wütend. „Die Fleißigen müssen vor den Faulen geschützt werden.“ „Sauber! Dann schafft ihr also die Erbschaftssteuer ab?“, fragte de Wall. „Nur die wirklich Bedürftigen haben Anspruch auf Hilfe vom Staat.“ „Es sei denn, es handelt sich um Banker und andere Kriminelle! Amen.“ „Rechte begründen automatisch auch Pflichten.“ „Ein wahres Wort! Warum haltet ihr euch nicht daran?“, entfuhr es de Wall. „Sicherheitsstreben schlägt unternehmerischen Geist.“ „Das muss ausgerechnet ein Banker sagen!“ „Eigenverantwortlichkeit und Initiative“. „ Bitte, bitte“, stöhnte de Wall. Verschone uns damit. Was bei Eurer Eigeninitiative rauskommt, darunter werden wir noch Jahrzehnte leiden.“
De Wall beendete seine Lektüre mit den Worten: „Ich kann das Gequatsche unserer selbsternannten Elite einfach nicht mehr ertragen! Es wird allerhöchste Zeit, dass ihr mal einen Tritt in den Arsch bekommt. Dir sollten Die Aussortierten mal die Hauswand vollschmieren,
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