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Die Aussortierten (German Edition)

Die Aussortierten (German Edition)

Titel: Die Aussortierten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Brandes
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Bretendorp!“
     
    De Wall ahnte an diesem Morgen nicht, wie schnell sein Wunsch in Erfüllung gehen sollte.

 
    9. Kapitel
     
    Was soll man über so einen Chef denken?
     
    Offenbar war de Wall nicht der einzige, der sich über die Rede von Dr. Bretendorp aufgeregt hatte. Als er am darauffolgenden Mittwoch sein Büro betrat, empfing ihn Djallo mit den Worten „Kannst deine Jacke gleich anlassen. Wir dürfen dem ehrenwerten Herrn Dr. Bretendorp einen Besuch abstatten“.
     
    „Na, wunderbar, der hat mir noch gefehlt. Was sollen wir da? Haben irgendwelche verständnisvollen Menschen jetzt auch sein Haus besprayt?“
     
    „Ganz exakt! Genau wie bei der ARGE.“
     
    „Nein! Du machst Witze!“
     
    „Nein, kein Witz“, antworte Djallo.
     
    „Weißt du was Djallo? Als ich Montag die schwachsinnige Rede von Bretendorp in der OZ gelesen habe, da hatte ich mich so geärgert, dass ich so vor mir hingesagt hatte‚Dem sollten die Aussortierten mal die Hauswand voll schmieren’.“
     
    „Müssen wir dich vielleicht vernehmen?“
     
    „Wäre vielleicht sinnvoll!“. Beide schütteten sich bald aus vor Lachen.
     
    „So, wo wohnt der große Meister denn? Wahrscheinlich im kriminellen Brennpunkt von Oldenburg, oder?“, fragte de Wall, als er und Djallo im Wagen Platz genommen hatten.
     
    „Im Kennedyviertel? Bist du bekloppt? Da wohnt doch kein Bonze!“
     
    „Ich sprach nicht vom Oldenburger Armenviertel, sondern vom kriminellen Brennpunkt, mit anderen Worten, dem Dobbenviertel.“
     
    „Sag mal Ulli, kann es sein, dass du ein ziemlich verqueres Weltbild hast?“
     
    „Nein, nur ein realistisches.“
     
    „Aber mal ernst gesprochen: Findest du nicht, dass du übertreibst?“
     
    „Nein, lieber Djallo.“
     
    „Und wieso bitteschön wird so ein Linksradikaler wie du ausgerechnet Bulle? Und wie hast du das mit dieser Einstellung überhaupt geschafft, ein Bulle zu werden? Warum haben die dich nicht schon im Bewerbungsverfahren aussortiert?“
     
    „Also ersten, bin ich kein Linksradikaler, sondern ein Linksliberaler. Aber heutzutage ist man ja schon als Linksliberaler ein Linksradikaler. Das liegt aber nicht an mir, ich habe mich in meinen politischen Positionen nicht geändert. Das liegt daran, dass die herrschende Meinung weit nach rechts gerückt ist, und wir keine freie Presse mehr haben.“
     
    „Keine freie Presse mehr? Hast du nicht mehr alle Tassen im Schrank?“
     
    „Und ob, Djallo. Aber sag mir doch mal eine auflagenstarke Zeitung, die Betonung liegt auf ‚auflagenstark’, die dezidiert linksliberale Positionen vertritt.“
     
    „Die Frankfurter Rundschau.“
     
    „Wann hast du die denn das letzte Mal gelesen? Seitdem die von Dumont aufgekauft wurde, gibt es dort linksliberale Meinungsbeiträge doch nur noch in homöopathischen Dosen“.
     
    „Die taz.“
     
    „Offensichtlich liest du die nicht. Die sind schon lange auf dem neoliberalen Trip, genau wie die Grünen. Und das grüne Milieu ist ja ihre Leserschaft. Also die saturierte, elitäre Mittelschicht, die einen Arbeiter nur mit der Feuerzange anfasst.“
     
    „Ich sehe schon, mit dir wird es wirklich interessant. Bisher hatte ich mich immer über überangepasste, ehrgeizige Streber von Chefs geärgert. Ich glaube, das steht bei dir nicht zu befürchten. Aber erklär mir bitte, warum wird so einer wie du, und dann noch mit einer exzellenten Ausbildung, Bulle? Ich mein, dass einer wie ich Bulle werden will, das ist klar. Das Arbeiterkind will vor allem eines: Die Garantie, immer einen vollen Teller zu haben. Leute wie ich sind zwar keine Streber, aber auch keine Revoluzzer. Wir leben nach der Devise ‚Spuck nicht in den Napf, aus dem du isst’. Aber du bist doch aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Warum wird so einer wie du Bulle?“
     
    „Erstens unterscheide ich mich in der Herkunft gar nicht so sehr von dir. Mein Vater war zwar kein Arbeiter, sondern ein kleinbürgerlicher Polizist, aber erstens kam er selber aus proletarischen Verhältnissen, und zweitens ähneln kleinbürgerliche Angestellte und Beamte sowohl im Einkommen als auch im Lebenstil den Arbeitern wesentlich mehr, als dem Bürgertum, dem sie so gern zugehören wollen. Aber Du hast Recht: Ich wollte nie Bulle werden, sondern das Gegenteil, ein professioneller Gesellschaftskritiker, und das auf akademisch. Aber das hat nicht funktioniert. Weil Gesellschaftskritik natürlich keinen Marktwert hat. Ich Idiot habe in meiner Doktorarbeit eine

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