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Die Aussortierten (German Edition)

Die Aussortierten (German Edition)

Titel: Die Aussortierten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Brandes
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und aufgeregt wie ein kleiner Junge prostete er Tessa zu. Er war von der Situation überrollt und fühlte sich überfordert. „Du bist hier nicht nur ein Mann, der mit einer attraktiven Frau ein Rendezvous hat“, flüsterte eine Stimme in ihm. Aber eine andere sagte: „Wenn du es nicht wenigstens versuchst, mit ihr ins Bett zu gehen, kannst du dir auch gleich einen Sarg bestellen, denn dann bist du ohnehin schon tot.“

 
    13. Kapitel
     
    Besuch bei einem alten Freund
     
    Drei Tage später saß de Wall auf seiner Terrasse und genoss einen wunderschönen Sonntag. Die Sonne und der hellblaue Himmel hellten nicht nur den Tag auf, sondern auch de Walls Seele. Er hatte genüsslich draußen auf der Terrasse gefrühstückt. Auf dem Tisch standen selbstgebackene Dinkelbrötchen, frische Butter, Honig, Käse, Salami, Fleischsalat und zwei Eier und Flaschentomaten. Dazu gab es guten ostfriesischen Tee aus einer klassischen Teekanne aus Metall. Jetzt hatte er es sich auf einer Liege gemütlich gemacht und dachte ein bisschen in den Tag hinein. Neben ihm lag ein Krimi von P. D. James, den er sich kürzlich gekauft hatte, sowie ein Vogelbestimmungsbuch und ein Fernglas. Aber so richtig Lust hatte er heute weder zum Lesen noch zum Vögel beobachten. Er wollte einfach ein bisschen gammeln und vor sich hin denken. Heute Nachmittag war er bei Frank Landuris eingeladen. Frank kam auch aus Wardenburg und war im gleichen Alter wie de Wall. Sie hatten früher in ihrer Jugend eine Zeitlang viel zusammen gemacht, sich aber schon vor dem Abitur etwas auseinanderentwickelt. Später hatten sie sich zwar noch ab und an getroffen, jedoch relativ selten. Über Ditte hatte de Wall jedoch immer mal wieder etwas über Frank gehört, und ab und zu waren sie sich auch mal zufällig in Wardenburg begegnet, wenn de Wall mal auf Besuch in der Gegend war. Deshalb war er relativ gut über Franks Werdegang informiert.
     
    Durch die Presseberichte in Zusammenhang mit den „Aussortierten“ hatte Frank mitbekommen, dass de Wall jetzt wieder in Oldenburg ansässig war, ihn angerufen und gefragt, ob sie sich nicht mal wieder treffen wollten. Sie hatten sich dann für 15.30 Uhr an diesem Nachmittag verabredet. De Wall hatte vorgeschlagen, sich mit Frank in Oldenburg in einer Kneipe zu treffen, aber Frank bestand darauf, sich bei ihm zu Hause zu treffen. Vorher hatte er ihm lang und breit erzählt, dass sie neu gebaut hätten. De Wall vermutete, dass genau dies der Grund war, warum er darauf bestand, sich bei ihm zu treffen. Durch das Gespräch wurden Erinnerungen aus seiner Jugend in ihm wach. Unterschwellig, versteckt hinter Frotzeleien, hatte es immer auch so etwas wie einen Konkurrenzkampf zwischen ihnen gegeben. Wobei er immer den Eindruck gehabt hatte, dass dies nicht von ihm, de Wall, ausging, sondern von Frank. Aber es hatte bei ihm, das wusste er noch genau, etwas ausgelöst: Nämlich ebenfalls das Bedürfnis, Frank auszustechen. Wenn er heute darüber nachdachte, dann wurde ihm bewusst, dass er tatsächlich nicht aus sich heraus das Bedürfnis gehabt hatte zu diesen Konkurrenzspielchen, dass Frank aber immer wieder dieses Spiel in Gang gesetzt hatte. Vielleicht war dies auch der eigentliche Grund, warum de Wall den Kontakt hatte einschlafen lassen. Früher hätte er Franks Verhalten rein psychologisch mit irgendwelchen individuell bedingten Komplexen erklärt. Mit seinem heutigen Soziologenblick sah er darin etwas anderes: Die alltägliche Mikroform des Klassenkampfes. Man könnte auch sagen, den „fraktionsinternen“ Klassenkampf in der kleinbürgerlichen Mittelschicht. Dazu zählte de Wall auch große Teile des Bildungsbürgertums, sich selbst inbegriffen. Denn nach de Walls Wahrnehmung markierte ein Studium schon längst nicht mehr einen großen gesellschaftlichen Unterschied. Viele Akademiker hatten heute eine soziale Position, die dem des Kleinbürgertums ähnelte, sowohl in Bezug auf ihre Abhängigkeit als Angestellte, als auch in Bezug auf Einkommen, Lebensstil und sozialem Charakter. Außerdem kamen viele Akademiker seiner Generation selbst aus proletarischen oder kleinbürgerlichen Verhältnissen und hatten dementsprechend auch nicht den typisch bildungsbürgerlichen Habitus. Früher war die akademische Ausbildung im Prinzip so etwas wie ein Anspruch auf eine höhere hierarchische Position in der Gesellschaft und einem dementsprechenden Lebensstil. Heute mussten viele Akademiker dankbar sein, überhaupt einen Job   zu haben, und

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