Die Aussortierten (German Edition)
haben.“
„Djallo, so genervt du auch manchmal von deiner Familie sein magst, glaub mir, du bist von uns dreien mit Sicherheit derjenige ist, der eben weil er Familie und alles was dazu gehört, um die Ohren hat, der emotional Stabilste und Belastbarste ist. Du könntest spielend drei Jahre ohne Urlaub auskommen, und wärst immer noch frischer als wir.“
„Meinst du wirklich?“ griente Djallo. Und das alles, weil ich Familie hab?“
„Auch. Aber Du scheinst mir auch von Natur aus ziemlich unerschütterlich und stabil zu sein. Und nicht nur stabil, sondern auch noch geradezu ekelhaft glücklich.“
„’Ekelhaft glücklich’. Schöner Ausdruck. Muss ich mir merken. Und du meinst also, ich bin geradezu ekelhaft glücklich? Na, wenn meine Familie auch damit etwas zu tun hat, dann solltest du vielleicht mit dem Gedanken spielen, dir eine Familie zuzulegen. Oder dich zumindest mal nach einer Frau umgucken.“
„Was glaubst du denn wohl, was ich schon seit Jahren mache?“
„Und warum wird das nichts?“
„Schluss jetzt!“
„Is ja schon gut, is ja schon gut. Ich sag nichts mehr.“
Als sie beim Ammerländer Krug auf den Hof fuhren, war dort schon ein Riesengetümmel. Polizeifahrzeuge, Krankenwagen, Sanitäter, Ärzte, und die Presse hatte offenbar auf breiter Front mitbekommen, dass wieder etwas passiert war. Oldenburger Tageszeitung, dpa, ein NDR-Team und die unvermeidlichen Bildreporter waren da. De Wall war sich schon jetzt klar, dass die Großkopfeten ihn und Tauber zu sich zitieren würden. Und dass es reichlich Druck geben würde.
„Moin, moin“, begrüßte sie Mesenbrink von der Tatortgruppe der uniformierten Polizei, die, seitdem der Kriminaldauerdienst aufgelöst worden war, in der Nacht für die Tatortaufnahme zuständig war. Sie waren es, die Djallo benachrichtigt hatten. Und der hatte dann die Kollegen von der Kriminaltechnik aus dem Wochenende gescheucht. Mesenbrink kam sofort zur Sache und berichtete, was sie bisher ermittelt hatten. „Und da das Kunden von Euch sind, dachten wir, Ihr wäret vielleicht gerne sofort dabei, auch wenn das euer Wochenende versaut.“
Nachdem sie beide im Bilde waren, bat de Wall Mesenbrink, den Tatort noch weiträumiger abzusperren und dafür zu sorgen, dass die Presse ganz vom Hof verschwand, damit sie hier in Ruhe arbeiten konnten. Djallo bekam den Auftrag, die Spurensicherer einzuweisen, die gerade eben auf den Hof gefahren kamen. Dann solle er sich in aller Ruhe am Tatort umgucken und von seinen spontanen Eingebungen leiten lassen, bevor er mit den Vernehmungen loslegte.
Als sein Chef dies vor einigen Monaten das erste Mal zu ihm gesagt hatte, hielt Djallo ihn für einen Spinner. Von spontanen Eingebungen leiten lassen! Lächerlich! Wozu hatte er während der Ausbildung gelernt, einen Tatort systematisch anzugehen? Diese Herangehensweise seines Chefs war ihm zu Anfang regelrecht widerlich, und er konnte sich richtig über seinen verspinnerten Chef aufregen. Das hatte noch gefehlt, dass ausgerechnet er so einen Esoteriker zum Chef bekam! Aber mit der Zeit war er offener für die ganz andere Art seines Chefs geworden und hatte begriffen, dass de Wall einfach nur meinte, er sollte sich nicht durch ein vorgefertigtes Konzept einengen lassen, sondern seinen spontanen Assoziationen und Einfällen trauen und ihnen folgen. Und da sein Chef den Soziologen in sich nicht ablegen konnte und ständig über die gesellschaftliche Bedingtheit des Menschen und die gesellschaftlichen Ursachen von Verhaltensweisen, Werten, Lebensstilen und Moralvorstellungen redete, hatte Djallo schließlich unwillkürlich auch schon angefangen die Welt inklusive sich und sein Leben soziologisch zu betrachten und zu deuten. Und so dachte er eines Tages, als er seinen Chef mal wieder an einem Tatort wie in sich versunken sah, als ob er meditierte, und er dabei mal wieder Etliches an Erkenntnis zutage förderte, was den Kollegen entgangen war, dass diese Methode offenbar doch etwas für sich hatte, und er, Djallo, sich vielleicht durch seine „sozialisationsbedingten“ Vorurteile gegenüber solchen „vergeistigten Kreativschnickschnack“ hatte irreführen lassen. Als er dies dachte, musste er innerlich grinsen, weil er im selben Atemzug bemerkte, wie er selbst schon anfing, sich soziologisch auszudrücken. Sein Chef hatte auf ihn abgefärbt. Und er merkte damals, dass er Respekt vor ihm gewonnen hatte und es ihm Spaß machte mit
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