Die Auswahl. Cassia und Ky
mustere seinen Rücken und seine Hände, um Anzeichen dafür zu sehen, ob er genauso nervös ist wie ich. Doch seine Muskeln sind entspannt und seine Schritte gleichmäßig, als er auf den Seiteneingang des Gebäudes zugeht, den für die Arbeiter. Er wird begleitet von der Schar seiner Kollegen, alle in Blau. Kys Arme hängen locker auf beiden Seiten herunter, die Hände offen und leer.
Während Ky im Gebäude verschwindet, führt mich die blonde Funktionärin zum Haupteingang hinein in eine Art Vorzimmer. Die anderen Funktionäre reichen ihr Elektroden, die sie hinter meinen Ohren, am Puls meiner Handgelenke und hinten im Ausschnitt meines Hemdes befestigt. Sie arbeitet schnell und geschickt. Jetzt, wo ich überwacht werde, versuche ich noch gezielter, mich zu entspannen. Ich will nicht übermäßig nervös wirken. Ich atme tief ein und rufe mir die Gedichtzeile ins Gedächtnis, nur in anderer Form: Diesmal schärfe ich mir ein, dass ich
gelassen gehen
muss, jedenfalls in dieser Situation.
»Wir befinden uns hier im Nahrungsmittelverteilzentrum unserer Stadt«, erklärt mir die Funktionärin. »Wie bereits erwähnt, ist es das Ziel der Praxissortierung, herauszufinden, ob Sie Menschen und Situationen nach bestimmten Parametern sortieren können. Wir möchten feststellen, ob Sie die Regierung dabei unterstützen können, die Funktion und Leistungsfähigkeit der Behörde zu verbessern.«
»Ich verstehe«, sage ich, obwohl ich mir da gar nicht so sicher bin.
»Dann wollen wir beginnen.«
Sie öffnet die Türen, und ein weiterer Funktionär nimmt uns in Empfang und begrüßt uns. Er ist offensichtlich der leitende Funktionär dieses Gebäudes, und die orange-gelben Streifen auf seinem Hemd besagen, dass er für eine der wichtigsten Behörden überhaupt arbeitet, die Nahrungsmittelbehörde. »Wie viele haben Sie heute?«, fragt er, und mir wird klar, dass ich nicht die Einzige bin, die den Test absolvieren und hier ihre Praxissortierung erbringen muss. Bei diesem Gedanken entspanne ich mich ein wenig.
»Eine«, antwortet die Funktionärin. »Aber diese ist unsere Überfliegerin.«
»Ausgezeichnet«, sagt er. »Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie fertig sind.« Er marschiert davon.
Ich dagegen bleibe still stehen, überwältigt von dem, was ich sehe, und den fremden Gerüchen. Und von der Hitze.
Wir befinden uns in einer riesigen Halle, größer als die Sporthalle der Schule. Der Raum gleicht einer Stahlkiste: ein mit Abflüssen übersäter Metallfußboden, graugestrichene Betonwände und Geräte aus rostfreiem Stahl ringsum an den Wänden und in regelmäßigen Reihen in der Mitte. Dampfschwaden wabern durch die Luft. Abzugsöffnungen in der Decke und an den Seiten des Gebäudes führen hinaus, aber es gibt keine Fenster. Die Geräte, die Alutabletts, das dampfendheiße Wasser aus den Hähnen: Alles ist grau.
Außer den dunkelblauen Arbeitern und ihren rotverbrühten Händen.
Ein Pfeifsignal ertönt, und ein neuer Strom von Arbeitern kommt von links herein, während die anderen rechts hinausgehen. Sie sehen erschöpft aus, und ihre Rücken sind gebeugt. Alle wischen sich über die Stirn und verlassen ihre Arbeitstelle, ohne sich noch einmal umzusehen.
»Die neuen Arbeiter waren in einer Sterilisationskammer, um alle Verunreinigungen von außen zu entfernen«, erklärt die Funktionärin mir im Plauderton. »Dort erhalten sie auch ihre Nummern und befestigen diese an ihrer Uniform. Sie werden sich mit der nächsten Schicht befassen.«
Sie zeigt hinauf, und ich sehe mehrere Überwachungsstationen im Raum: kleine Metalltürme, auf denen Funktionäre positioniert sind. Es gibt drei dieser Türme; der in der Mitte ist unbesetzt. »Dort oben werden wir stehen.«
Ich folge ihr die Metallstufen hinauf, die denen zu den Airtrain-Haltestellen ähneln. Diese Stufen enden jedoch an einer kleinen Plattform, auf der wir zu viert kaum Platz finden. Der grauhaarige Funktionär schwitzt bereits heftig, und sein Gesicht ist rot angelaufen. Mein Haar klebt mir im Nacken. Dabei müssen wir nur hier stehen und zusehen. Wir müssen nicht einmal körperlich arbeiten.
Ich wusste, dass Kys Arbeit hart ist, aber ich hatte keine Ahnung, wie hart.
Wannen über Wannen voller schmutziger Alubehälter stehen neben Arbeitsstationen mit Spülbecken und Recyclingröhren. Durch eine große Öffnung am Ende des Gebäudes werden die verschmutzten Alubehälter in einem nicht enden wollenden Strom hereintransportiert. Sie kommen von den
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