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Die Auswanderinnen (German Edition)

Die Auswanderinnen (German Edition)

Titel: Die Auswanderinnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: helga zeiner
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so gedrückt, als säßen sie in einer Aussegnungshalle. Sie wagten nicht zu sprechen, reichten sich schweigend Brot und Marmelade, kauten bedächtig und tranken literweise Kaffee. Draußen, vor den hohen Scheiben, verhöhnte sie ein strahlender Frühlingstag. Es war Sonntag, und die Frühaufsteher joggten bereits um die Marina oder betraten vergnügt und energiegeladen den Frühstücksraum. Die Ferienlaune in Port Macquarie war allgemein ansteckend, schaffte es aber nicht, die Frauen aus ihrer Schwermut zu reißen.
    „Lasst uns auschecken und losfahren“, schlug Isabella schließlich vor, und so stiegen sie eine knappe halbe Stunde später in ihren Wagen und fuhren Richtung Pacific Highway los. Es waren nur noch dreihundertsiebzig Kilometer bis Sydney und es war erst acht Uhr morgens. Mit etwas Glück würden sie bereits gegen Mittag ankommen.
    Eva saß am Steuer. Sie unterhielt sich leise mit Jo Ann, die neben ihr saß, während Isabella auf dem Rücksitz lag und tatsächlich fest eingeschlafen war.
    „Was denkst du nun?“, fragte Eva leise und deutete mit einer Kopfbewegung nach hinten. „Hat sie sich wirklich all die Jahre über eingebildet, dass du die Schuldige bist?“
    „Davon bin ich überzeugt“, nuschelte Jo Ann. „Sie ist sich ihrer Sache so sicher, dass ich sogar selbst ins Grübeln gekommen bin. Die halbe Nacht lang habe ich überlegt, ob an ihrer Version nicht etwas Wahres dran sein könnte.“
    Eva nickte. „Ja, ich weiß. Mir ging es nicht anders.“
    „Na toll!“
    „Tut mir leid.“ Es klang hilflos, und Jo Ann verstand, dass es nicht böse gemeint war.
    „Entschuldige!“
    „Schon gut.“
    Sie schwiegen eine Weile, starrten geradeaus vor sich hin und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Mit jeder Stunde, die verging, drängten sie ihre Zweifel weiter in den Hintergrund. Das Thema wurde nicht noch einmal angesprochen, stattdessen staunten sie darüber, wie sehr sich die Küste Australiens in den letzten dreißig Jahren verändert hatte. Sie hätte öfter verreisen sollen, meinte Eva. Es war so unglaublich schön hier, die Sandstrände lagen wie glitzernde Juwelen vor dem tiefblauen Meer, eingerahmt von vorwitzigen Landzungen, die wie die Zacken einer Krone ins Meer ragten. Dort blies der Wind den feinen Sand durch das niedrige hellgrüne Strandgras und trug die Stimme der Brandung über die Hügel. Eva hielt an einem besonders schönen Aussichtspunkt an. Sie weckten Isabella und wanderten dann gemeinsam bis zur Spitze der Landzunge, um sich die Beine zu vertreten. Wieder standen sie an einer der felsigen Küsten des Kontinents und waren von der Natur überwältigt. Doch Jo Ann spürte plötzlich wieder das gleiche Ziehen im Magen, das sie schon in Byron Bay gehabt hatte. Dies war wohl die letzte Möglichkeit, sich zu entscheiden. Frei zu sein und frei zu bleiben. Aber sie rührte sich nicht. Sie stand nur da, genoss den Wind in ihren Haaren und den Sand zwischen ihren nackten Zehen. Alle drei hatten sich die Schuhe ausgezogen und mussten deshalb, als sie zurück waren, lange über ihre Füße reiben, um nicht zu viel Sand ins Auto zu tragen. Dennoch blieben einzelne Körner hartnäckig auf ihrer Haut kleben.
     
    Jo Ann fuhr schon eine ganze Weile, als Isabella plötzlich den Kopf zwischen den Lehnen durchsteckte und sagte: „Ich habe nachgedacht! Was ist, wenn ich die Wahrheit verdrängt habe? Wenn tatsächlich ich es war, die Kurt erschlagen hat? Die fehlenden Stunden ... sie beunruhigen mich. Es ist mir ein Rätsel, warum sie mir nie gefehlt haben! Wo zum Teufel bin ich denn in dieser Zeit nur gewesen? Was habe ich währenddessen gemacht? Was soll ich bloß tun, um es herauszufinden?“
    Jo Ann drehte sich flüchtig zu ihr um. „Denk nicht länger darüber nach, dann hast du am ehesten die Chance, dass es dir wieder einfällt.“
    „Das mag ja sein“, überlegte Isabella, „aber das kann dauern und ich weiß nicht, ob wir noch so viel Zeit haben. Johanna, kannst du mit deiner Selbstanzeige nicht noch ein paar Tage warten? Ich möchte nicht, dass du morgen schon zur Polizei gehst. Vorher muss ich einfach Gewissheit haben.“
    Eva war von dem Vorschlag hellauf begeistert. „Das finde ich auch. Auf ein paar Tage kommt es jetzt doch auch nicht mehr an, nicht wahr, Jo Ann?“
    Jo Ann schwieg.
    „Bitte, gib mir noch ein paar Tage Zeit“, bat Isabella.
    „Na gut. Bis Mittwoch also.“
    Um zwei Uhr hatten sie die Stadtgrenze von Sydney erreicht, und eine Stunde später saßen sie

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