Die Babysammlerin (Contoli-Heinzgen-Krimi)
Leon im Vorbeigehen einige Zeitungen auf den Boden neben der Küchentür warf. „Muss zum Altpapier“, murmelte er dabei. Caras Blick fiel auf die oben liegende arg zerfledderte Ausgabe. Sofort hielt sie in ihrer Arbeit inne. Die Überschrift auf der Titelseite rechts unten hielt sie gefangen: „Journalistin von satanischer Sekte attackiert.“
Die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen.„...als Weihnachtspräsent .... blutige tote Ratte im Schuh.....“
„Leon!“ Cara zeigte stumm auf die Zeitung.
„ Ach, das ist eine ältere Ausgabe. Die lagen alle noch im Wagen.“
Tatsächlich, das Datum war vom 28. Dezember 2001.
„Trotzdem, diese Journalistin, wieso wurde sie ...?“
„ Sie schreibt Artikel über satanische Sekten.“
Cara stöhnte auf.
„Das ist ein schlechtes Omen, ein sehr schlechtes Omen.“
13
Aufrichtigkeit ist wahrscheinlich die verwegenste
Form der Tapferkeit
(William S. Maugham)
Anke war bei ihrer Recherche über die Berliner Sekte erfolgreich gewesen. Sie stand am Fenster ihres kleinen überteuerten Appartements. Seinerzeit hatte sie es nach der Trennung von Wolf auf die Schnelle gemietet unter der Prämisse, sich bald eine kuschelige Wohnung zu suchen. Allerdings war es bei dem Vorsatz geblieben. Anfangs wegen mangelnder Zeit, später gesellte sich der Hintergedanke dazu, eines Tages doch wieder zurück in die Poppelsdorfer Allee zu ziehen. Aber direkt jetzt, auf der Stelle, wünschte sie sich eine wohligere Umgebung mit einem angenehmen Arbeitsplatz und viel Fläche darum. Sie brauchte Platz für ihre Akten, Bücher, Zeitschriften und was sie sonst noch so alles an Gedrucktem sammelte. Jetzt verteilte es sich um sie herum auf dem Laminatboden und bepflasterte allmählich die aufgerundeten 40 qm ihres Appartements. Sie blickte in den wintergrauen Februarhimmel. In ihrer Seele sah es genauso aus. Seit gestern Abend lag sie ernsthaft im Clinch mit Wolf. Wie im ersten Jahr ihrer Ehe waren die Fetzen geflogen. Mit Ehe assoziierte Anke die Zeit des Zusammenwohnens. Sie verstand Wolfs Angst um sie und um sich selbst, sogar die um sein Denkmal geschütztes Haus. Aber sie verstand nicht, warum er nicht einsehen wollte, dass genau das, was sie tat, ihr Job war und sie Risiken eingehen musste. Schließlich wollte sie ihn hundertprozentig erfüllen und niemals sich selbst als Journalistin untreu werden. Dann könnte sie sich selbst nicht mehr ernst nehmen. Dabei war er doch Psychologe. Aber wie sagt ein altes Sprichwort so treffend: Der Schuster hat immer die schlecht besohltesten Schuhe.
Sie begab sich zu ihrem PC, starrte auf den grauen Bildschirm und strich sich ihre Locken zurück. Ach, Wolf beruhigte sich schon wieder. Nachher würde sie ihn anrufen und in ihre Lieblingspizzeria einladen. Sie dachte an ihre Mutter. Mutter konnte die leckerste Pizza übers ganze Backblech verteilt zubereiten. Wieso, fragte sich Anke wieder einmal, hatte sie diese kochkünstlerische Eigenschaft ihrer Mutter nicht geerbt? Wolf wäre selig. Anke lächelte, ihr Vater kam ihr in den Sinn. Sein Drang, den Dingen auf den Grund zu gehen. Sein verrücktes Querdenken. Sein scharfer Spürsinn, seine typisch italienischen Emotionen, in denen sie eingebettet war. Anke atmete tief durch. Ja, stellte sie zufrieden fest, sie war wie ihr Vater, und Wolf liebte sie wegen ihres italienischen Gemüts. Des Feuers in ihr und der Konsequenz, die sich daraus ergab und der sie immer gefolgt war. Er liebte sie, weil er eben so ganz andere Erfahrungen sammeln musste und seinen Platz nicht gefunden hatte zwischen Mutter, Vater und Schwester. Aber heute, nach Jahren der Verwirrung, des Erstaunens und der Verblüffung den Spuren gefolgt und ans Ziel gelangt. Und zum richtigen Zeitpunkt hatte er sie gefunden, wenngleich auch nicht alle seine Vorstellungen wunschgemäß erfüllt wurden. Sie hatten sich getrennt und erneut gefunden. Zusammen getrennt funktionierte es perfekt. Alles andere würde wieder zerstören, obwohl sie sich beide dieses Zusammensein letztendlich wünschten, verfolgten und sich danach sehnten. Wolf gab es offen zu, während sie sich zierte. Jetzt, hier, in ihrem kleinen Appartement, fühlte sich Anke alleine, niedergeschlagen, und sehnte sich zum Denkmal geschützten Haus in die Poppelsdorfer Allee direkt ins Himmelbett.
Obwohl ihr der zu schreibende Artikel unter den Nägeln brannte, zwang sie sich nur mühsam auf den rot gepolsterten Schreibtischstuhl vor ihrem PC. „Also los“, murmelte sie,
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