Die Baeren entdecken das Feuer
Manfred Weinland
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Carls Gärtnerei
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Hören wir auf, der guten alten Zeit nachzutrauern, zu einem Gutteil leben wir doch immer noch darin.
EUEL GIBBONS
Meine letzte Arbeitswoche begann (wie üblich) mit einer Krise. »Code Vier, Gail«, sagte Carl und warf mir meine Kappe zu. Er hat meinen Namen noch nie richtig aussprechen können. »Es sind die Barbers, draußen im Wisperwälder-Unterbezirk, südlich von New Brunswick, gleich neben der A1.« Er rangierte den Pick-up rückwärts vor das Schuppenende des Gewächshauses und nervte mich mit seinen Fragen, während ich unsere Ausrüstung auflud. »Hast du die Tropfdüse? Hast du den 4-plus-6? Hast du den Sylovan? Den Di50Si? Den Raseninjektor? Und den Wummich, für alle Fälle? Oh, und einen Ulmenspan für die Laubenpromenade. Vielleicht schaffen wir’s heute noch bis dahin.«
Es war ein heller, trauriger Junitag mit buntem, schwerem Verkehr. Die Straßenränder waren strahlend grün, fürs Frühjahr frisch gestrichen.
»Da wären wir, Gail. In den Wisperwäldern.« Er steuerte durch das geöffnete Schmiedeeisentor zwischen den beiden hohen Laser-Bäumen (Ahorn) mit den im Dolby-Sound raschelnden Blättern und über einen gebogenen Fahrweg, flankiert von großen Häusern auf weiten Pseudorasenflächen – alles ›Torf und Schorf‹, wie Carl Grünspelz und Astrogras es zu nennen pflegten. Bis wir dann endlich am Wendehammer das Haus der Barbers erreichten.
Deren Rasen war nicht grün, sondern gelbgrün. Das einzige organische Stück Rasen im ganzen Unterbezirk. Den hatten wir vor vier Jahren angelegt; zwei Jahre lang hielt er sich ganz gut. Im letzten Sommer aber mußten wir ihn rund um die Uhr auf IV stellen, und nun schien es endgültig um ihn geschehen zu sein.
Mrs. Barber stand mit besorgter Miene in der Tür. Ihr Mann kam auch gerade mit dem Auto an. Sie hatte ihn anscheinend zur selben Zeit gerufen wie uns.
»Um Himmels willen«, stöhnte Mr. Barber, als er aus dem Chrysler Iacocca stieg und auf seine verwelkten hunderttausend Dollar blickte ($ 104.066.29, um genau zu sein; manchmal werfe ich einen Blick in Carls Bücher). »Ist es nicht schon zu spät, Carl, was meinen Sie?«
»Es ist nie zu spät, Mr. Barber«, antwortete Carl. Die noch grünen Rasenstellen bildeten ein Zickzackmuster aus und ließen wie ein Röntgenbild die darunterliegende Bewässerungsanlage erkennen. Der Rest war gelbsüchtig gelb. Um den Hof herum verlief ein Streifen so braun wie Papier, kurz bevor es in Flammen aufgeht.
»Code Sechs, Gail«, revidierte Carl seine erste Einschätzung. »Jag schon mal viereinhalb Liter Biuloformican durch den Injektor. Und beeil dich. Ich hol derweil den Ambulanebler vom Wagen.«
Der Nährstofftank befand sich in einem Schuppen neben dem Haus, das im Stil einer Ranch gebaut war. Dort kippte ich eine Viererdose Bi hinein, gab ein reichliches Quantum Phischphlocken dazu und startete den auf Super laufenden Motor, der heulend die unterirdischen Pumpen in Bewegung setzte. Draußen marschierte Carl mit einer Diprothemytalin-Spritze auf dem Rasen hin und her. Die Barbers sahen mit sorgenvoller Miene vom Eingang aus zu. Am Straßenrand waren ein paar Nachbarn zusammengekommen; auf ihren Gesichtern zeigte sich sowohl Besorgnis als auch kaum verhohlene Schadenfreude. Anscheinend waren die Barbers und ihr organischer Rasen nicht besonders beliebt hier.
Eine rechtzeitige Dipro-Kur verhilft den dünnen Graspflänzchen zu einem satten Grün. Unter meinen Fußsohlen hörte ich sie förmlich vor Erleichterung seufzen. Aber wenn die durchs IV-Gitter gepumpte Nährlösung nicht auf lebendiges Wurzelwerk trifft, ist alle Mühe umsonst.
Carl blickte ernst drein, als er die Spritze auf den Wagen zurückhievte. »Wenn’s bis Mittwoch nicht besser geworden ist, rufen Sie mich bitte an«, sagte er zu den Barbers. »Sie haben doch auch meine Privatnummer, nicht wahr? Freitag sind wir aber in jeden Fall noch mal hier, um das Konzentrat der IV-Lösung neu einzustellen.«
»Wie… ähm… wieviel wird das kosten?« flüsterte Mr. Barber, um von Frau und Nachbarn nicht gehört zu werden. Carl zeigte sich verstimmt, worauf Barber verschämt zur Seite blickte.
»Verflixt noch mal, ich hab das alles kommen sehen«, sagte Carl, als wir uns auf den Rückweg gemacht hatten. »Früher hat man seinen neu angelegten Rasen noch versichern lassen, mitsamt dem Haus. Aber wer tut das heute noch? Sicher, man kann einen Baum versichern, jedenfalls einen
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