Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
erfahren. So wie du es jetzt weißt. Ich habe sie zwischen die Bäume gezerrt. Habe ihr den Mund zugeklebt. Ihre Hände musste ich auch fesseln, weil sie mir das Gesicht zerkratzen wollte. Ich habe sie festgebunden und ein paar Stunden später mitgenommen, da hat sie nicht mehr geschrien. Dafür hatte sie sich in die Hose gemacht wie ein Baby. Viel mehr hat sie sowieso nicht gewogen, die stinkende Schlampe. Eigentlich hatte ich ihr die Kleider ausziehen wollen, doch jetzt hatte ich keine Lust mehr. Macht nichts. Ich improvisiere gern. Die besten Pläne entwickeln sich mit der Zeit. Genau wie jetzt, wo ich zu dir spreche, weiß ich nicht, wie sich die Dinge entwickeln werden. Was mit dir geschehen wird. Verschiedenste Zufälle könnten mir einen Strich durch die Rechnung machen. Und noch hast du ja keine Ahnung, dass ich von dir rede. Du hast dir solche Mühe gegeben, mich zu vergessen. Aber wir sind miteinander verbunden. Das wolltest du doch damals sagen, als du von den Zwillingen gesprochen hast, die unzertrennlich waren. Dennoch hast du mich in Gedanken sterben lassen. Du hast mal gesagt, dass jeder Mensch sein eigenes Tier in sich trägt. Das hattest du irgendwo gelesen und wolltest, dass ich darüber nachdenke. Wir saßen im Klassenzimmer, aber wir waren nicht allein. Es war direkt vor der ersten Stunde. Und da mir nichts einfiel, sagtest du, dass der Bär mein Tier sei.
TEIL II
16
Sonntag, 7. Oktober
K riminalkommissar Hans Magnus Viken thronte auf dem Felsrücken. Er stand dort seit mehreren Minuten. Der Tatort zu seinen Füßen wurde von den beiden Scheinwerfern der Spurensicherung in gleißendes Licht getaucht.
Noch immer war er nicht an der Fundstelle gewesen. Nicht weil er sich scheute, die Tote näher in Augenschein zu nehmen, sondern weil der erste Eindruck äußerst wichtig war. Er hob den Blick und spähte zwischen den Tannenzweigen hindurch ins Dunkel. Der Ort, an dem eine Leiche gefunden wurde, hatte stets etwas zu erzählen. Oft fiel es ihm schwer, es sogleich in Worte zu fassen, aber das Gespür dafür konnte später noch von entscheidender Bedeutung sein. Sich selbst gegenüber bezeichnete er das als Intuition, seinen Kollegen gegenüber sprach er lieber von seinem Bauchgefühl. Er war sich ganz sicher, dass diese Fähigkeit zum intuitiven Denken einen guten von einem sehr guten Ermittler unterschied.
Viken blieb noch ein paar Minuten dort oben stehen, bevor er nach unten kletterte und den drei Männern in den weißen Overalls zunickte, die mit der Untersuchung der Leiche fürs Erste fertig waren und sich nun dem Waldboden zuwandten.
Ein Blick auf die Tote genügte: Der Kommissar hatte nicht den geringsten Zweifel, dass es sich um die vermisste Frau handelte. Sie trug nach wie vor ihre Trainingskleidung, eine Goretex-Jacke und eine Hose aus grobem Stoff. Die Jacke war am Rücken aufgerissen. Sie hatte die Beine angewinkelt, sich zusammengerollt und lag da wie ein Embryo. Er bückte sich und leuchtete ihr ins Gesicht. Eine breite Wunde zog sich von der einen Seite des Halses bis zur Wange hinauf. Im ersten Moment hätte man an die tiefe Kratzspur einer Pranke denken können. Fünf parallel verlaufende Krallen. Als er einen Zipfel der zerrissenen Jacke anhob, kam eine identische Schramme zum Vorschein, die quer über den Rücken verlief.
Er blickte zu dem Felsrücken empor, auf dem er eben gestanden hatte. Ein Sturz auf den steinigen Boden konnte aus dieser Höhe erhebliche Verletzungen verursachen. Aber danach sahen die Wunden nicht aus. Sie schienen eher von einem Tier verursacht zu sein. Zehn Tage waren vergangen, seit die Frau vermisst gemeldet worden war. Vielleicht hatte sie schon länger hier gelegen, Wind und Wetter sowie Aasfressern ausgeliefert.
Ein Kriminaltechniker rief etwas. Er beugte sich über das Ende des Felsrückens, der in einen Abhang überging. Die anderen kamen hinzu. Viken hörte sie laut miteinander reden und kletterte zu ihnen hinauf.
»Was gefunden?«
Der eine von ihnen, ein grauhaariger hagerer Typ, den er noch von der Polizeihochschule kannte, winkte ihn näher heran. »Sehen Sie selbst!«
Viken richtete seine Taschenlampe auf den Boden, dorthin, wo das Moos halb herausgerissen war. Als er den Kegel weiter nach vorn wandern ließ, sah er identische, gleichmäßige Spuren, die sich im lehmigen Untergrund deutlich abzeichneten und stark an Krallen erinnerten.
»Verdammt!«, brummte Viken. »Sieht mir nicht gerade nach einem Hund aus.«
Er richtete sich
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