Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
schien er ständig den Kopf einzuziehen, auch wenn sich – wie auf dem Parkplatz der Esso-Tankstelle – nichts in der Nähe befand, woran er sich hätte stoßen können. Sicher das Resultat unzähliger Bekanntschaften mit Türrahmen und Dachbalken, wie Viken vermutete. Die Hand, die der Beamte ihm entgegenstreckte, hatte die Größe einer Bratpfanne.
»Roger Åheim, also der Mann, hinter dem wir her sind, ist der Inhaber dieser Tankstelle«, erklärte Storaker.
Viken nickte kurz. Das hatte ihm Nina längst erzählt.
»Das bringt uns leider nicht weiter, er ist nicht hier.«
Storaker schlug dennoch vor, sich erst mal eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen an der Theke zu genehmigen, ehe sie sich auf den Weg machten. Viken, der nicht noch mehr Zeit zu verlieren hatte, lehnte den Vorschlag so höflich wie möglich ab. Obwohl Nina sicher nichts gegen eine Kaffeepause einzuwenden gehabt hätte. Doch sie musste sich noch ein wenig gedulden, dachte er schadenfroh, als er sich wieder hinter das Lenkrad setzte. Er bot seiner Kollegin eine Salmiakpastille an.
Als er den Wagen anließ, zeigte er auf einen Mann, der in diesem Moment aus dem Tankstellengebäude kam, einen langen Lulatsch mit kahlem Schädel, der einen ölverschmierten roten Overall trug. Er füllte einen Zeitungsständer auf, der vor dem Eingang stand.
»Wenn du dir mal eine richtige Abfuhr holen willst, dann frag doch den Kerl da.«
Viken blickte sie verstohlen an. In dieser Hinsicht hatte er schon genug Erfahrung gesammelt.
»Kennst du den etwa?«
Sie erzählte von ihrer ersten Begegnung mit diesem jungen durchgeknallten Typen, der nichts Besseres zu tun gehabt hatte, als sich mit ihr, einer wildfremden Frau, anzulegen. Viken hörte ihr nur mit halbem Ohr zu.
Seit sie von der Landstraße Richtung Åheim abgebogen waren, klebte Viken an der Stoßstange des Volvos, in dem Storaker und ein weiterer Polizeibeamter saßen. Trotz des bevorstehenden Wochenendes und des allgemeinen Personalmangels in dieser Gegend schien Storaker mehr als glücklich darüber, das Budget durch einen aktuellen Einsatz belasten zu können. Es geschah nicht alle Tage, dass sie bei den Ermittlungen in einem Mordfall behilflich sein konnten.
Dann nahmen sie die erstmögliche Abzweigung nach links. Davon sei keine Rede gewesen, meckerte Viken. Deshalb waren sie also mitten im Wald gelandet. Mehr als eine Stunde hatten sie wegen dieser Nachlässigkeit verloren. Fluchend schlug er mit der Faust gegen das Lenkrad. Nina schwieg. In diesem Moment meldete sich sein Handy. Er steckte sich den Stöpsel ins Ohr. Die Frau am anderen Ende vergaß ihren Namen zu sagen, was in Anbetracht ihres breiten australischen Akzents auch nicht nötig war. Wer die Gerichtsmedizinerin Jennifer Plåterud nicht kannte, hätte sie für eine Amerikanerin halten können – eine Vermutung, die sie umgehend entkräftete, wenn sie damit konfrontiert wurde.
»Wir haben nur wenig biologisches Material bei Cecilie Davidsen gefunden«, erklärte sie. »Bisher scheint alles von ihr selbst oder den nächsten Angehörigen zu stammen.«
»Also ein Täter, der weiß, was er tut«, stellte Viken fest.
»Wir haben jedoch Schmutz und minimale Reste von Putz unter ihren Nägeln und an der Kleidung entdeckt.«
Sie hielt kurz inne, ehe sie fortfuhr:
»Es handelt sich offenbar um denselben Putz, den wir auch bei Hilde Paulsen entdeckt haben. Die Zusammensetzung ist in den letzten sechzig, siebzig Jahren nur noch selten benutzt worden, ein hoher Kalkanteil, vermischt mit Lehm. Bei nur einem Opfer hätten wir das als Zufall betrachtet, doch nicht, wenn wir bei zwei Toten exakt dieselbe Zusammensetzung finden.«
»Ausgezeichnet«, sagte Viken zufrieden. »Was ist mit den Kratzspuren?«
»Wir haben eine Antwort aus Edmonton erhalten«, antwortete die Gerichtsmedizinerin. »Dort haben sie unsere Bilder mit eigenen Fotos von Leuten verglichen, die von einem Bären angegriffen wurden. Sie meinen, dass die Verletzungen übereinstimmen.«
Viken wich einem Schlagloch aus.
»Wir fragen uns, ob diese Kratzwunden auch von der abgeschnittenen Tatze eines ausgestopften Bären stammen könnten«, sagte er. »In diesem Fall könnten sie als Signatur oder Botschaft des Täters aufgefasst werden. Halten Sie das für möglich?«
»Eine abgeschnittene Bärentatze? Hm, ich werde mir die Kratzwunden noch mal genau ansehen.«
Dann fügte sie lachend hinzu:
»Auch wenn ich nicht glaube, dass ein toter Bär kratzen kann, jedenfalls
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