Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
Gelegenheit, den Satz zu vollenden.
»Dr. Axel Glenne! Der Letzte, der Hilde Paulsen lebendig gesehen hat. Der Hausarzt von Cecilie Davidsen. Das ist uns vorher doch schon merkwürdig vorgekommen.«
»Tja, für ihn ist das etwas … problematisch«, entgegnete Viken, konnte sich aber nicht erinnern, von wem er diesen Ausdruck erst kürzlich aufgeschnappt hatte.
»Und das ist noch nicht alles.«
Er war neugierig geworden, nahm die Lesebrille ab und legte sie auf den Tisch.
»Glenne war in der Nacht auf Dienstag bei Miriam Gaizauskas.«
»Was? Bist du sicher?«
»Er hat zweimal bei ihr übernachtet«, fuhr sie triumphierend fort. »Am Dienstagmorgen hat er die Wohnung zirka um fünf Uhr verlassen. Ihr zufolge war er es, der die Leiche vor ihrer Tür entdeckte.«
Viken stieß hörbar die Luft aus. Es klang so, als würde sie aus einer Luftmatratze entweichen.
»Die Beschreibung des Zeitungsausträgers stimmt auch mit ihm überein. Verdammt, Nina, ich glaube wirklich, dass endlich Bewegung in die Sache kommt. Wir müssen ihn gleich noch einmal vernehmen.«
»Ich habe schon in seiner Praxis angerufen. Er hat sich krankgemeldet und die ganze Woche noch nicht dort blicken lassen.«
»Dann versuchen wir es eben bei ihm zu Hause.«
Er wandte sich wieder dem Monitor zu.
»Hab ich auch schon probiert. Da geht keiner ran. Aber seine Frau hat sich zumindest auf ihrem Handy gemeldet.«
Viken lächelte sie mit einem Blick an, der eine Mischung aus Erstaunen und Anerkennung signalisierte.
»Er ist seit Sonntag nicht zu Hause gewesen. Hat sie nur ein paarmal angerufen. Sie sagt, sie weiß nicht, wo er ist.«
Viken war sofort auf den Beinen.
»Gut gemacht, Frau Kollegin. Eins mit Stern. Ich hab doch die ganze Zeit gesagt, dass an diesem Glenne was faul ist.«
47
D ie Frau, die ihnen die Tür öffnete, war mittelgroß und schlank. Sie mochte über vierzig sein, sah aber jünger aus. Teils, weil ihre dunklen Haare auf eine Art und Weise nach vorne gekämmt waren, die Viken modern vorkam, doch vor allem wegen ihres makellosen Gesichts. Ihre hohen Wangenknochen hielten die Haut an ihrem Platz, wo sie sich in der Regel in Falten legte.
»Sie müssen Frau Glenne sein«, sagte Viken und streckte unwillkürlich die Hand aus, was er in den seltensten Fällen tat.
»Vibeke Frisch Glenne«, entgegnete sie mit festem Händedruck. Ihre Handfläche war vollkommen trocken, ohne die geringste Andeutung von nervöser Feuchtigkeit.
Viken stellte seinen Kollegen vor.
»Dies ist Polizeikommissar Arve Norbakk.«
Während sie Norbakk die Hand gab, bemerkte Viken, dass ihre mandelförmigen Augen sich weiteten.
»Ich glaube, wir haben uns schon mal irgendwo gesehen«, sagte sie, und Viken entging nicht, dass ihre sonnengebräunte Haut noch eine Spur dunkler wurde.
»Stimmt, wir sind uns vor längerer Zeit abends in einer Kneipe begegnet«, bestätigte Norbakk mit seinem jungenhaften Lächeln. »War das nicht im Smuget?«
Viken ließ sich die Sache kurz durch den Kopf gehen und entschied sich dafür, dass es durchaus von Vorteil sein konnte, wenn sich die beiden früher schon mal begegnet waren. Wenn sie auf Norbakk so reagierte wie die meisten anderen Frauen auch, dann konnten sie sich ihres Wohlwollens gewiss sein.
Vibeke Glenne ging ins Wohnzimmer voraus, das großzügig und hell war und Fenster nach Süden und Westen hatte. An einer der Wände hingen zwei große, grellfarbene Ölgemälde. Viken konnte zwar nicht erkennen, was sie darstellen sollten, fand jedoch, dass sie ziemlich teuer aussahen.
Sie bot ihnen einen Platz auf der ledernen Sitzgruppe an.
»Setzen Sie sich doch. Ich hole uns Kaffee.«
Ein acht- bis zehnjähriges Mädchen spähte um die Ecke.
»Hallo!«, rief Norbakk. »Du bist bestimmt Marlen.«
»Donnerwetter!«, sagte Viken. »Du scheinst ja die ganze Familie zu kennen.«
»Hast du nicht das Türschild gesehen?«, fragte Norbakk.
»Ihr habt ja gar keine Uniform an«, stellte das Mädchen fest. Sie war strohblond, hatte ein rundes Gesicht und ähnelte ihrer Mutter kein bisschen.
»Wir sind trotzdem richtige Polizisten«, entgegnete Norbakk und zeigte ihr seinen Dienstausweis.
Marlen kam zögernd auf ihn zu, und er gab ihn ihr.
»Siehst du, dass ich das bin?«
Das Mädchen betrachtete erst die Karte und blickte ihm dann ins Gesicht. Plötzlich lächelte sie verlegen, und es überraschte Viken, dass Norbakk, der ein ruhiger, zurückhaltender Typ war, offenbar so einen guten Draht zu Kindern hatte. Umso
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