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Die Ballade der Lila K

Die Ballade der Lila K

Titel: Die Ballade der Lila K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blandine Le Callet
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Cäsar gesagt hat, als er den Rubikon überschritt?«
    »Was hat Julius Cäsar damit zu tun?«
    »Er sagte: Alea iacta est . Der Würfel ist gefallen. Und jetzt werde ich meinen Rubikon überschreiten, Fernand. Ich werde das Lexikon an einer beliebigen Stelle aufschlagen und den ersten Eintrag auf der rechten Seite als Familiennamen nehmen. Damit ist die Frage dann ein für alle Mal geklärt!«
    Fernand sah mich entgeistert an.
    »Was soll das, Lila? Eben hast du noch gesagt, dass man eine solche Wahl nicht auf die Schnelle treffen kann.«
    »Stimmt, aber das Dilemma ist so groß, dass ich mich für eine andere Vorgehensweise entschieden habe. Ich will es kurz und schmerzlos halten.«
    »Du bist ja völlig verrückt!«
    »Das bin ich keineswegs, Fernand. Wenn man vor eine unmögliche Wahl gestellt wird, kann eine zufällige Entscheidung durchaus auch rational sein. Das ist wissenschaftlich erwiesen.«
    Ohne weiter auf ihn einzugehen, schloss ich die Augen, atmete tief ein und schlug das Lexikon auf. Dabei rief ich laut: Alea iacta est!
    Danach hielt ich ein paar Sekunden die Luft an, die Augen immer noch geschlossen, während mir das Herz bis zum Hals schlug – offenbar konnte ich selbst nicht fassen, wie dreist ich vorgegangen war. Ich hörte Fernand stammeln:
    »So geht das nicht! So geht das auf keinen Fall!«
    Ich machte die Augen nicht gleich auf.
    »So geht das nicht!«, wiederholte Fernand.
    Ich nahm all meinen Mut zusammen und riss die Augen auf. Das Lexikon war beim Buchstaben K aufgeschlagen. Er erstreckte sich in roter Farbe über die halbe Seite. K. Das war klar, eindeutig und unwiderruflich. Mit einem breiten Lächeln verkündete ich:
    »Die Wahl ist getroffen: Ich werde mich Lila K nennen.«
    Fernand sah dermaßen verblüfft aus, dass es schon wieder komisch war.
    »So geht das nicht!«, wiederholte er ein letztes Mal.
    »Doch, Fernand, das geht. Das Lexikon hat 3729 Seiten. Ich habe im Vorhinein verkündet, dass ich mich für die rechte Seite entscheiden würde. Die Chancen standen also 1 : 1865 .«
    Er schüttelte heftig den Kopf – es fiel ihm sichtlich schwer, die Regeln der Statistik und des Realitätsprinzips zu akzeptieren.
    Ich beharrte auf meinem Standpunkt:
    » 1 : 1865 . Daran ist nicht zu rütteln.«
    Er schwieg.
    »Haben Sie mich gehört, Fernand? Ich werde mich Lila K nennen. K wie Kajak, Käppi, Kiwi …«
    »Wie Kauffmann.«
    »Reiner Zufall, Sie sind mein Zeuge.«
    »Die Kommission wird das als Hommage auffassen.«
    »Die Kommission kann mich mal kreuzweise!«, brüllte ich und ahmte dabei Monsieur Kauffmanns Stimme nach – das war nun wirklich eine Hommage.
    »Du bist unmöglich«, seufzte Fernand.
    »Lila K. Das ist mein letztes Wort.«
    »Na schön, dann gebe ich das so weiter. Und ich werde bezeugen, dass es ohne Vorsatz war.«
    »Danke, Fernand. Ich habe schon immer gewusst, dass Sie im Grunde ein feiner Kerl sind.«
    Als er weg war, blieb ich vor dem Lexikon sitzen und betrachtete den blutroten Buchstaben. Lila K, Lila K, Lila K hallte es fröhlich in meinem Kopf, es klang sehr überzeugend. Ich legte die Wange auf die Seite. Sie fühlte sich glatt und warm an, wie lebendige Haut. Lila K, rief ich laut und deutlich. Danach schloss ich die Augen. Und hörte aus unendlich weiter Ferne das Echo eines schallenden Lachens.
    Entgegen Fernands Befürchtungen registrierten die Krämerseelen von der Kommission meinen Wunschnamen, ohne aufzumucken.
    »Natürlich habe ich wieder mit Engelszungen auf sie eingeredet, und sie haben sich mir zuliebe darauf eingelassen. Das heißt aber nicht, dass sie sich nicht ihren Teil denken!«
    Ich zuckte mit den Achseln.
    »Sollen sie ruhig. Hauptsache, sie haben eingewilligt.«
    »Du solltest trotzdem aufpassen.«
    »Mit Ihnen als Verbündetem fühle ich mich ziemlich gut geschützt!«
    »Man kann sich nie gut genug schützen, Lila.«
    Anfang August luden sie mich vor, um mir meine Akte zu übergeben. Das ist die Vorschrift: Jeder Zögling bekommt bei seiner Entlassung aus dem Zentralheim seine Akte ausgehändigt. Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass es so bald geschehen würde – meine Entlassung war erst für Oktober vorgesehen.
    »Das kommt manchmal vor«, erklärte mir Fernand mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck. Ich hatte keine Lust weiterzubohren.
    Er führte mich in einen großen Saal, in dem ich noch nie gewesen war. Dort befanden sich lediglich zwei Sessel und ein Tisch, auf dem ein Grammabook lag.
    »Erwarten wir noch

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