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Die Ballade der Lila K

Die Ballade der Lila K

Titel: Die Ballade der Lila K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blandine Le Callet
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kauf ich Ihnen nicht ab. Den haben Sie von Monsieur Templeton geschenkt bekommen, Sie wollen es bloß nicht zugeben.«
    »Hören Sie, Justinien, das ist doch absurd! Warum sollte ich Sie belügen?«
    »Weiß ich auch nicht, aber ich spüre, dass da was nicht stimmt. Ich bin schließlich nicht von gestern.«
    »Jetzt reicht’s! Ihr Verhalten ist einfach lächerlich.«
    Wortlos nahm er den Packen Dokumente, den er für mich vorbereitet hatte, von der Karre und schnappte sich den Packen vom Vortag. Dann schob er die Karre zur Tür hinaus. Bevor er ging, warf er mir noch einen Blick zu und sagte bitter:
    »Nach allem, was ich für Sie getan habe!«
    In den folgenden Tagen zeigte er mir die kalte Schulter und brachte mir keinen einzigen Artikel hoch, der nicht auf der offiziellen Auftragsliste stand. Das war seine Art, mich zu bestrafen. Wofür? Weil ich mit Ihnen gesprochen hatte? Es wollte mir nicht in den Kopf.
    All das bestärkte mich wieder einmal in dem Entschluss, möglichst keine engeren Bindungen mit anderen einzugehen. Zwischenmenschliche Beziehungen waren mir zu verzwickt und irrational. Ich hatte zu viel zu tun, um damit Zeit zu vergeuden.
    Täglich ging ich nach der Arbeit auf dem Grünzug joggen. Inzwischen hatte ich mich an den Lärm und die anderen Jogger gewöhnt und konnte sie ohne weiteres ausblenden. Was mir auf der Straße nicht gelang: Sobald ich mein beschauliches Wohnviertel verließ, um in geschäftigere Gegenden vorzustoßen, befiel mich unweigerlich Panik, mitten auf dem Bürgersteig, Schweiß lief mir den Rücken hinunter, mir wurde übel. Notgedrungen machte ich kehrt, kläglich, schwankend und entmutigt. Und was die U-Tube angeht – an die war gar nicht zu denken. Allerdings musste ich meine Angst vor der Innenstadt irgendwann überwinden, wenn ich mein selbstgestecktes Ziel wirklich erreichen wollte.
    Justinien wurde von einem Tag auf den anderen wieder nett: Eines Morgens betrat er meine Zelle mit einem breiten Lächeln.
    »Wie kommt’s, dass Sie so strahlen, Justinien? Ist Ihre Wut verraucht?«
    »Wie meinen Sie das?«
    Er wirkte aufrichtig erstaunt, als hätte er die ganze Geschichte vergessen.
    »Wissen Sie das wirklich nicht mehr?«
    Er schüttelte den Kopf. Seufzend sagte ich:
    » Das Leben steckt voller Rätsel , nicht wahr?«
    »Genau das sag ich auch immer, Mamiselle«, antwortete er fröhlich. Dann blinzelte er mir mit dem rechten Auge zu:
    »Für Sie ist auch wieder was dabei.«
    Ich lächelte.
    »Danke.«
    Ich nahm den Packen entgegen und ließ Justinien ziehen, ohne weitere Fragen zu stellen. Die Hauptsache war, dass wir uns endlich wieder versöhnt hatten. Das Leben steckt nun mal voller Rätsel.
    Ein paar Tage später verlor ich meinen Schal zum zweiten Mal. Ich hatte Pulli und Mantel schon wieder angezogen, um in die Mittagspause zu gehen, doch den Schal fand ich nicht. Dabei war ich mir sicher, dass ich ihn am Morgen bei meiner Ankunft noch gehabt hatte. Meine Zelle hatte ich nur ein einziges Mal verlassen, gegen zehn Uhr, um auf Toilette zu gehen. Da hatte wohl jemand die Gelegenheit genutzt und den Schal mitgehen lassen. Selbstverständlich dachte ich zunächst an Justinien. Außer Ihnen war er der Einzige, der von diesem Schal wusste. Aber dann sagte ich mir, dass jeder x-Beliebige dafür in Frage kam. Vielleicht hatte einer der anderen Mitarbeiter zufällig gesehen, dass meine Zelle leer war, und in meinen Sachen gewühlt, aus Gemeinheit oder Neugier. Dabei hatte er meinen Schal entdeckt und ihn an sich genommen.
    Natürlich hätte ich den Diebstahl melden und eine Sichtung der Überwachungsbänder verlangen können. Aber ich wollte auf keinen Fall die Aufmerksamkeit auf mich ziehen, jetzt weniger denn je. Da ließ ich den Täter lieber ungestraft davonkommen. Auch wenn mir das Herz blutete. Ja, blutete , denn mit dem Verlust dieses Schals wurde mir wieder ein Teil von Monsieur Kauffmann entrissen.
    Seit Justinien mir diese Szene gemacht hatte, war ich in gewisser Hinsicht befangen. Obwohl er sich wieder so liebenswürdig und hilfsbereit zeigte wie davor, blieb ich auf der Hut. Ich hatte nicht vergessen, was er mir im Eifer des Gefechts an den Kopf geworfen hatte: Nach allem, was ich für Sie getan habe! Ich fragte mich, wie sehr er wohl ausrasten würde, sollte ich ihn ein weiteres Mal verärgern. Darum bin ich Ihnen vorsorglich aus dem Weg gegangen, wie in der Anfangszeit, als hätte dieses Gespräch zwischen uns nie stattgefunden, als hätte ich nie in diesem Buch

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