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Die Ballade der Lila K

Die Ballade der Lila K

Titel: Die Ballade der Lila K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blandine Le Callet
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traurig. »Ich hoffe sehr, dass Sie eines Tages begreifen werden, warum das keine Schande ist.«
    Ich habe Sie entgeistert angesehen, und Sie haben mir zugelächelt.
    »Kommen Sie, ich bringe Sie nach Hause.«
    Am 5 . April nahm ich die Arbeit wieder auf. Auf meinem Stockwerk war zum Glück niemandem aufgefallen, dass ich gefehlt hatte. Justinien hatte man durch eine junge Frau namens Lucrezia ersetzt, ohne Ticks und Narben, allem Anschein nach ganz normal. Ich fragte mich, ob sie auch zu Ihren Schützlingen zählte, weil sie so hübsch war.
    Kurz vor der Mittagspause um 13 Uhr haben Sie an mein Zellenfenster geklopft. Ich freute mich, aber das war mir nicht anzumerken, weil ich gleichzeitig große Angst hatte, Sie wiederzusehen.
    »Wie geht es Ihnen? Haben Sie sich richtig erholt?«
    »Ja, es geht mir gut.«
    »Wunderbar. Sollten Sie noch irgendetwas brauchen …«
    »Der Spaziergang …«
    »Wie bitte?«
    »Ich wollte Ihnen für den Spaziergang danken. Noch nie habe ich mich so weit in die Stadt vorgewagt, und das … das hat mir sehr geholfen. Das wollte ich Ihnen unbedingt sagen.«
    »Das höre ich gern, Lila.«
    Das war das erste Mal, dass Sie mich Lila nannten.
    Es war keineswegs übertrieben, der Spaziergang mit Ihnen hatte mir wirklich sehr geholfen: Auf einmal waren die engen Grenzen überwunden, hinter denen ich mich verschanzt hatte, und der Schock war weitaus geringer ausgefallen als befürchtet. Das hatte mir die Augen geöffnet.
    Ein Leben lang baut man sich Barrieren auf, die man gar nicht überwinden will – dahinter lauern sämtliche selbsterschaffenen Monster. Man hält sie für hochgefährlich, für unbesiegbar, aber man täuscht sich. Tritt man ihnen mutig entgegen, entpuppen sie sich als schwach und substanzlos, verpuffen nach und nach. Sodass man sich am Ende fragt, ob sie jemals wirklich existiert haben.
    Ich begann, jeden Tag nach der Arbeit auszugehen. Ziellos lief ich ein oder zwei Stunden durch die Stadt, einfach nur, um mich allem auszusetzen, was mir fremd war – den Gerüchen, den Geräuschen, dem steten Gewimmel um mich herum. So viele Begegnungen, die es zu vermeiden galt.
    Meine Schönheit machte mir manchmal einen Strich durch die Rechnung. Ich versteckte sie zwar mit allen Mitteln – strenge Kleidung, Sonnenbrille, keine Schminke –, aber das reichte nicht. Sie war trotzdem erkennbar, und oft drehten sich die Passanten auf der Straße nach mir um. Fast jedes Mal wurde ich von Männern angesprochen, von Frauen auch. Ich ging nie darauf ein, sondern setzte meinen Weg fort, unangenehm berührt und mit klopfendem Herzen. Immerhin gaben sie dann auf. Seit der Verschärfung der Gesetze gegen sexuelle Belästigung reißen sich die Leute zusammen.
    Was mir bei diesen Streifzügen am schwersten fiel, war, die Kontrolle abzugeben. Das Zufällige, Überraschende, Unerwartete anzunehmen. Mich treiben zu lassen. Bislang hatte es in meinem Leben keinen Raum für Improvisationen gegeben, und ich stellte fest, dass diese neue Freiheit komplizierter und auch beängstigender war als alle Zwänge, die meine Existenz zuvor bestimmt hatten.
    Ich hielt durch. Lief stetig weiter, mit den Tagen wurden auch die Strecken länger, die ich zurücklegte. Jeder Spaziergang war ein weiterer Sieg über die Monster: Sie sprangen mir nicht mehr an die Kehle, wie zu Beginn. Sie hielten sich im Hintergrund, immer noch eine lastende Bedrohung, die aber mit jedem Schritt, den ich voranging, weiter zurückwich. Inzwischen wurde ich ihrer so gut Herr, dass ich mich bis Einbruch der Dunkelheit draußen aufhalten konnte. Manchmal sogar bis zur Sperrstunde.
    Ende Juni fuhr ich das erste Mal mit der U-Tube. Ich musste mich übergeben, aber damit hatte ich gerechnet und vorsorglich eine Tüte eingesteckt, um mein Umfeld zu schonen. Die Leute haben getan, als ob nichts wäre. Sie rückten nur ein wenig von mir ab und sahen weg. Bestimmt gab ich ein seltsames Bild ab, vom Brechreiz geschüttelt und verängstigte Blicke um mich werfend. Für mich war es unbegreiflich, dass die anderen den Kopf nicht ebenfalls in eine Papiertüte steckten und alles von sich gaben.
    Dennoch machte ich unverdrossen weiter. Tag um Tag habe ich den Menschenmassen in den Zügen getrotzt, dem Gestank und der abstoßenden Tuchfühlung. Das musste sein. Und es gelang mir, wie in allen anderen Situationen, meist, indem ich die Luft anhielt. Ich biss die Zähne zusammen, um den Körperkontakt, den Atem der Mitreisenden zu ertragen.
    Die Tube war die

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