Die Ballonfahrerin des Königs
Wichtigeres gab als diesen
Augenblick der Nähe, dass er bestimmend war für die Zukunft des Kindes, überhaupt für die Möglichkeit einer Zukunft.
«Bist du citoyen Gomin? Im Namen der Nation, ich verlange |351| eine Antwort!», herrschte der Unbekannte den Wärter an.
Gomin zog ein großes Taschentuch aus seiner Hose. Er tupfte die feinen Schweißperlen ab, die sich über seiner Oberlippe gebildet
hatten. Sein Blick lief zwischen den Gänseblümchen und Charles hin und her.
Jomart fasste sich schneller. «Unsere Bemühungen, das Kind zu beleben, scheinen zum ersten Mal zu fruchten, citoyen», sagte
er geistesgegenwärtig. «Darf ich Ihren Namen erfahren?»
«Lemétayer. Ich habe Dienst bis morgen Nachmittag. Und ich will auf der Stelle erklärt bekommen, wie …»
«Citoyen, Sie haben großes Glück», lächelte Jomart. «Ich nehme an, Sie wissen, wie viel der Regierung am Leben der Geisel
liegt? Und in welche politischen Schwierigkeiten deren Tod das Land bringen könnte? Sie werden der commune die gute Nachricht
über die ersten Anzeichen der Erholung des Kindes überbringen dürfen.»
Lemétayer presste die Lippen zusammen. «Ich brauche keine Belehrungen. Ich bin durchaus in der Lage, mir eine eigene Meinung
zu bilden über das, was ich sehe. Citoyen Gomin, wann wirst du mir endlich erklären, was hier vor sich geht?»
Der Wärter schien sich endlich ein Herz gefasst zu haben. Er stopfte das Taschentuch zurück in seine Tasche. Langsam, aber
mit einigermaßen fester Stimme sagte er: «Also, es verhält sich genau so, wie citoyen Jomart gesagt hat. Ich habe nichts hinzuzufügen,
außer dass ich dir einen Brief mitgeben werde. Wir müssen den Heilungsprozess unterstützen.» Er wandte sich an Marie-Provence.
«Eine tägliche Promenade ist unmöglich, aber …» Er suchte ihren Blick. «Zweimal in der Woche, vielleicht?»
Marie-Provence musste schlucken, ehe sie sich ein Lächeln abringen konnte. «Das wäre sehr schön», sagte sie.
***
|352| «Was willst du hier?», begrüßte Cédric Croutignac seinen Gast. «Bist du gekommen, um dich in meinem Elend zu sonnen?»
Sein Schwager hatte die Hände in die Taschen gesteckt. Er sah sich um. «Elend? So weit ich sehe, hat sich kaum etwas an deinen
Lebensumständen geändert, Cédric.»
«Es tut mir leid, dich zu enttäuschen.»
«Du irrst.» Alexandre Jomart schüttelte den Kopf. «Was lässt dich annehmen, dass ich mich an deinem Unglück freuen würde?»
«Ach, komm, lass die Spielchen.» Cédric fuhr über sein Gesicht. «Wir stehen doch schon lange nicht mehr auf derselben Seite,
Alexandre. Nicht mehr seit dem Tod von Caroline und Félicie.»
Sein Schwager senkte den Kopf. «Es war auch meine Familie, Cédric. Meine Schwester, meine Nichte. Auch für mich war ihr Tod
ein Verlust. Und du hast jeden Grund der Welt, zu trauern. Aber du trauerst nicht, du suchst Schuldige. Und dafür vergreifst
du dich an Schwächeren. Ich aber bin Arzt und habe gelobt, den Schwächeren zu helfen.»
«Félicie war schwach. Und Caroline. Und ich – ich war es auch.» Ein bitterer Geschmack machte sich auf Cédrics Zunge breit.
«Doch da hast du nicht geholfen.»
«Es waren die Pocken, Cédric! Es gibt kein Heilmittel gegen Pocken! Gott ist mein Zeuge, dass ich es Caroline und der Kleinen
verabreicht hätte, hätte ich über ein solches Mittel verfügt!»
Cédric heulte auf vor Wut. «Hör auf damit! Es war Mord! Verdammt, wenn du es nur einmal zugeben könntest, Alexandre! Nur einmal!
Vielleicht würde mich dann nicht jedes Mal die Lust packen, dir ins Gesicht zu schlagen, wenn ich dich sehe!» Er riss sich
die Jacke vom Leib und schleuderte sie von sich. «Was willst du überhaupt? Warum bist du hier?»
Der Arzt war sehr bleich. «Ich will, dass du Marie-Provence de Serdaine in Ruhe lässt.»
Cédric rückte an seiner Brille, nahm seinen Schwager |353| schärfer in Augenschein. «Wer sagt dir, dass ich das nicht tue? Ich habe die Frau seit Monaten nicht mehr gesehen.»
«Ich weiß, dass du warten kannst. Und dass du deine Handlanger hast.» Alexandre Jomart wich seinem Blick nicht aus. «Ich will
dein Versprechen, Cédric.»
Cédric brach in lautes Gelächter aus. «Köstlich! Warum, um alles in der Welt, sollte ich dir so etwas zusichern?» Ruhiger
fragte er nach einer Weile: «Warum setzt du dich eigentlich so für die Kleine ein? Und was sagt deine Frau dazu?»
Der Arzt ging nicht darauf ein. «Sie war zwölf, als
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