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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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du wieder im Schilde? Du hast uns erwartet,
     also warum bist du nicht vor unserer Ankunft geflohen?»
    Sie hielt seinem Blick stand. «Es ging nicht. Das Kind liegt im Sterben.»
    «Ach?», sagte Croutignac gedehnt.
    Marie-Provence ballte die Fäuste. «Ich zeige Ihnen sein Versteck. Und dafür lassen Sie mich bei ihm bleiben. Bis zum Ende.»
    «Wenn es stimmt, was du sagst, brauche ich doch nur abzuwarten, um das Kind loszuwerden. Warum sollte ich deine Bedingungen
     erfüllen?»
    «Weil Sie sich nie sicher sein würden, ob ich Sie über Charles’ Zustand nicht belogen habe. Weil Sie dessen Leiche brauchen,
     um Ihren Auftraggebern beweisen zu können, dass Sie Ihre Aufgabe erfüllt haben. Und weil Sie sonst selbst nicht zur Ruhe kommen.»
     Nach einer kurzen Pause schloss Marie-Provence: «Alles, was ich von Ihnen verlange, ist Zeit, Croutignac. Und Freiheit für
     diese Frau hier.» Sie deutete auf Théroigne. «Dafür schwöre ich, dass ich mich nach Charles’ Tod ohne Widerstand abführen
     lassen werde und bis dahin keinen Fluchtversuch unternehme.»
    Croutignac betrachtete sie nachdenklich. «Warum hast du dich nicht zusammen mit dem Jungen versteckt?»
    Marie-Provence klimperte mit den Wimpern. Ja, natürlich hätte sie sich auch in dem Erdloch verbergen können, in dem das Kind
     lag. Doch wer wusste schon, wie lange die Soldaten in Théroignes Haus ausgeharrt hätten? Beim Notar |473| Glain waren sie noch heute. Marie-Provence ahnte, dass sie nicht mehr viel Zeit hatte, um Abschied zu nehmen. Und Charles
     sollte seine letzten Stunden unter freiem Himmel erleben, nicht in einem fensterlosen Versteck. «Ich habe meine Gründe.»
    Croutignac warf ihr einen seltsamen Blick zu. Nach einer Denkpause nickte er. «Ich bin einverstanden.»
     
    Es war später Nachmittag. Noch stand die Sonne hoch am Himmel, doch ihre Strahlen fanden bereits den Weg unter das moosige
     Dach des Unterstandes. In der warmen Luft hing der Duft des Sommers, wie ein haltloses Versprechen von Leichtigkeit und Glück,
     von reifenden Kornwiesen und Nächten im Stroh. Vor ziemlich genau einem Jahr hatte Marie-Provence im Gefängnis von La Force
     um ihr Leben gebangt. Der Juli, fand sie, war ein trügerischer Monat.
    Théroigne saß ein paar Schritte entfernt und döste. Die Brieftaube hatte ihre Flügel gespreizt und putzte ihr Gefieder, feiner
     weißer Flaum segelte durch die Gitterstäbe. Ganz in der Nähe des Käfigs lag Charles regungslos unter einer leichten Decke.
     Ihn von seinem Versteck in diesen kleinen Unterstand zu bringen, in dem Théroigne für gewöhnlich Körbe und Gartenzeug aufbewahrte,
     war sehr anstrengend und schmerzhaft für ihn gewesen, doch jetzt war er ruhig. Sein Atem ging leicht und kaum hörbar, sodass
     Marie-Provence sich immer wieder zu ihm hinabbeugte, um seinen Puls zu fühlen.
    «Dieses Kind wird einen leichten Tod haben», vernahm sie eine Stimme in ihrem Rücken. Sie erstarrte. Croutignac stand im Schatten
     eines Stützpfostens, mit gekreuzten Armen.
    «Es ist zu beneiden», sagte er. «Es gibt noch ganz andere Arten, den Tod zu empfangen. Weißt du, zum Beispiel, wie es ist,
     an den Pocken zu sterben?»
    Gereizt wandte sie ihm den Rücken zu. Warum ließ er sie und Charles nicht in Frieden?
    Leise fuhr Croutignac fort: «Der Kranke schwillt an, bis |474| die Spannung auf seiner Haut kaum noch auszuhalten ist. Er phantasiert vor Fieber und ist übersät mit roten, harten Pusteln,
     auch auf Handflächen und Fußsohlen, im Mund und in der Luftröhre. Und ganz besonders im Gesicht.» Tonlos fügte er hinzu: «Ein
     Mensch, der die Pocken hat, ist ein Anblick des Grauens, den man nie mehr im Leben vergisst.»
    Marie-Provence stützte ihre Hand neben Charles’ Arm ab. Seine Haut strahlte Wärme aus, und es tat ihr gut, diese Wärme zu
     spüren.
    «Wenn dieses Kind die Pocken hätte, würdest du es nicht mehr berühren wollen. Du würdest es nicht über dich bringen.»
    Ruckartig wandte Marie-Provence sich um. «Was bezwecken Sie, Croutignac? Ihre Geschichten interessieren mich nicht.»
    Croutignac schenkte ihr nicht mal einen Blick. «Wenn die Krankheit ihren Höhepunkt erreicht, füllen sich die Pusteln mit Eiter
     und brechen auf. Der Kranke wird zu einer einzigen Wunde. Und er stinkt. Mein Gott, wie er stinkt! Wenn man ihn vorher schon
     nicht anfassen wollte, so muss man sich jetzt Gewalt antun, um überhaupt in seine Nähe zu treten.»
    Marie-Provence sprang auf. «Théroigne, bleibst du bei

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