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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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Marie-Provence dem Rat des Soldaten zu
     folgen.
    Das Fort war auf einer schroffen Felsgruppe direkt am Meer erbaut worden und bestand aus einem halben Dutzend Gebäude, die
     ein mehrschichtiger steinerner Mauerring gegen Angriffe schützte. Auf dem höchsten dieser Mauerringe entdeckte Marie-Provence
     die roten Uniformen der Offiziere. Der Wind zerzauste die goldenen Fransen ihrer Schulterklappen und die kurzen weißen Federbüsche,
     die aus den Kokarden ihrer Zweispitze wuchsen. Etliche von ihnen hatten ihre Fernrohre gezückt. Und alle sahen gespannt in
     dieselbe Richtung.
    Marie-Provence folgte ihrem Blick – und stieß einen stummen Schrei aus. Sie taumelte zwei Schritte vor, bis sie an die steinerne
     Einfassung des Wehrgangs stieß.
    «Er ist es, nicht wahr?»
    Die heisere Stimme ihres Vaters ließ sie zusammenfahren. Sie flüsterte kopfschüttelnd: «Ich weiß es nicht.» Sie konnte Guy
     nicht ansehen, konnte den Blick nicht abwenden von dem, was dort über Sainte-Barbe schwebte. Eine Sphäre.
    Blau. Weiß. Rot.
    «O doch, Marie-Provence, du weißt es. Du weißt es genauso gut wie ich!» Eine eiserne Hand packte Marie-Provence ’ Nacken.
     «Du hast ihn hierhergelockt. Du hast diesem Hund verraten, wo du bist, und er ist dir nachgereist!»
    Etwas in ihr bäumte sich auf. Sie ballte die Hände zu Fäusten, blieb aber unbewegt stehen, den Blick starr auf den Ballon
     gerichtet. «Du hast mich belogen, Vater», stieß sie leise aus. «Du hast mir gesagt, er habe nicht mitkommen wollen. Dabei
     hast du ihn den Soldaten vor die Füße geworfen und seinen Tod in Kauf genommen!»
    Die Finger ihres Vaters umklammerten ihre Halswirbel noch fester. Sie stöhnte lautlos vor Schmerz, verzog aber keine |511| Miene. Seine Stimme war heiser: «Nie hätte ich geglaubt, dass du mich derart enttäuschen würdest!»
    Marie-Provence blieb stumm. Ihr Blick hing an der schwebenden Seide, unter der sie nackt gelegen und ein paar der schönsten
     Stunden ihres Lebens verbracht hatte. Sie blinzelte, kämpfte die Tränen zurück.
    «Bei Gott, Marie-Provence, du stößt mich ab!»
    Er ließ sie urplötzlich los. Ein eiskalter Fleck entstand dort, wo sie gerade noch seine warme Haut gespürt hatte.
     
    Die Nacht war wild. Der Wind zerriss die Wolken und peitschte Wellen aus dem Ozean. Das Boot bäumte sich auf, und einen Atemzug
     lang hingen die nassglänzenden Ruder hilflos in der Luft. Doch dann tauchte die Nussschale wieder in ein Wellental, und die
     Männer keuchten unter der Anstrengung.
    Marie-Provence’ Finger hielten ihre Sitzbank fest umklammert. Da sie nicht schwimmen konnte, durfte sie auf keinen Fall über
     Bord gehen. Das gewachste Tuch, das Cadoudal ihr gegeben hatte, umhüllte sie von Kopf bis Fuß. Trotzdem waren ihre Wangen
     feucht von der Gischt. Ihr war übel.
    «Geht es?», fragte der hünenhafte Chouan an ihrer Seite.
    «Ja», sagte Marie-Provence mit fester Stimme. Sie schmeckte Salz auf ihren Lippen. Angestrengt spähte sie in die Nacht, doch
     vergeblich. Schon lange waren die vielen Boote der Männer nicht mehr zu sehen, die heute Nacht ihrem Anführer gefolgt waren,
     um an Land zu gehen. Die Stimme des tosenden Meeres und das Heulen des Windes hatten sie verschluckt.
    Achttausend Royalisten hatten heute Nacht von der belagerten Halbinsel abgelegt. Ihr Ziel war die Gegend um Suscinio, ein
     Landstrich weiter südlich, außerhalb der Bucht von Quiberon. Von dort aus wollten die Chouans ins Hinterland dringen, Gleichgesinnte
     in ihre Reihen aufnehmen und die Republikaner in einen Kleinkrieg verwickeln, wie es ihre Spezialität war. Zum Schluss würden
     sie General |512| Hoche von seinem Nachschub trennen und den Oberbefehlshaber in einer großen Umkehrbewegung von hinten angreifen. Nur Cadoudals
     Ruderboot hatte sich kurzzeitig von den anderen getrennt, da er Marie-Provence’ zugesagt hatte, sie an Land abzusetzen.
    «Wir kommen an», brummte ein Mann.
    Der veränderte Wellengang verriet Marie-Provence, dass er recht hatte. Der helle Streifen des Strandes wurde sichtbar, auf
     ihm die dunklen Massen der Felsbrocken. Marie-Provence verengte die Augen. War es tatsächlich ein kleines Licht, das dort
     in der Nacht flimmerte? Der hölzerne Bauch des Bootes schabte über den Sand.
    Plötzlich bewegte sich ein undeutlicher Schatten zwischen den Felsen. Marie-Provence erschrak, bis sie erkannte, dass es ein
     über und über mit Tang behängter Chouan war, der dort mit einer verhängten Laterne gehockt

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